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Kind hat Krebs - Behörde kürzt

Mutter bekommt 103 Euro weniger, weil sie am Krankenbett wacht

Von Christian Althoff
Kirchlengern (WB). Kurz vor Weihnachten ist einer Familie aus Kirchlengern (Kreis Herford) das Arbeitslosengeld II um 103,27 Euro gekürzt worden - offenbar, weil die schwer erkrankte Tochter in der Kinderklinik Bielefeld-Bethel liegt.

Maler Sven E. (40) und seine Frau Peggy (31) sind arbeitslos und leben mit ihren Töchtern Leann (4) und Chantal (8) vom ALG II. Die Geschäftsstelle Kirchlengern der ARGE (eine Arbeitsgemeinschaft, dem der Kreis Herford und die Agentur für Arbeit angehören) zahlte jedem Elternteil bislang monatlich 311 Euro und 207 Euro für jedes Kind, außerdem wird die Miete übernommen.
Mitte November traf die Familie der Schock: Sie erfuhr, dass die jüngere Tochter Krebs hat. »Leann fühlte sich schlapp. Wir waren mit ihr in der Kinderklinik Herford und wurden von dort nach Bethel überwiesen«, erzählt die Mutter. Dort bestätigten die Ärzte die Diagnose Leukämie. Sven E.: »Als der Sachbearbeiter der ARGE ein paar Tage später anrief und meine Frau sprechen wollte, sagte ich ihm, sie sei in Bielefeld bei unserer Tochter im Krankenhaus.«
Nach Angaben der Herforder Rechtsanwältin Heike Knigge hat der Sachbearbeiter daraufhin ohne weitere Rücksprache mit der Familie die Leistungen zum 1. Dezember zusammengestrichen: »Er hat das Arbeitslosengeld für die Frau um 30 Prozent gekürzt - mit der Begründung, die Mutter werde ja im Krankenhaus mit versorgt.«
Das Gesetz sehe zwar vor, dass man Leistungen einschränken könne, wenn jemand etwa an einer mehrwöchigen Kur teilnehme und somit seine Verpflegung sichergestellt sei. »Aber dieser Fall liegt doch ganz anders«, kritisiert die Anwältin. Zum einen sei das Kind nur alle zwei Wochen während der Chemotherapie für zwei bis drei Tage in der Klinik. Zum anderen hätten die Eltern durch die Leukämieerkrankung sogar höhere Kosten als vorher. Mutter Peggy E.: »Wenn Leann in Bethel liegt, fahren wir jeden Tag 40 Kilometer in die Klinik und abends dieselbe Strecke zurück. Zu den Benzinkosten kommt noch das Geld, das wir für Windeln aufwenden müssen, denn unsere Tochter ist seit ihrer Erkrankung inkontinent.« Außerdem haben die Ärzte den Eltern geraten, ihre Tochter speziell zu ernähren.
Rechtsanwältin Heike Knigge: »Natürlich ist ein sparsamer Umgang mit Steuermitteln notwendig, aus denen das ALG II ja finanziert wird. Aber hier haben die Behörden offensichtlich das Augenmaß verloren. Die schwere Erkrankung des Kindes ist schon eine enorme psychische Belastung für die Eltern. Dazu kommt jetzt noch der Streit mit der ARGE.«
Die Anwältin hat inzwischen Widerspruch gegen den Leistungsbescheid eingelegt und Klage beim Sozialgericht in Detmold eingereicht. Von der ARGE war am Freitag Nachmittag keine Stellungnahme zu dem Fall zu bekommen.
Unterdessen kämpft Leann weiter gegen die tückische Krankheit. Das Mädchen muss auch über Weihnachten in der Kinderklinik bleiben, wo es per Infusionen seine Chemotherapie bekommt. »Aber Heiligabend kommt Papa mit Chantal vorbei. Dann sind wir vier zusammen«, strahlte die Kleine am Freitag.

Artikel vom 24.12.2005