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Keine Klasse
bei der Masse

PR hat Box-Schwergewicht im Griff

Von Oliver Kreth
Berlin (WB). Das Schwergewicht ist tot, es lebe das Kirmes-Boxen. Seit dem Rücktritt des Briten Lennox Lewis befindet sich die einstige Königsklasse der Faustkämpfer in einer gewaltigen Qualitätskrise.

Dramatisch offensichtlich wurde dies am vergangenen Wochenende in Berlin. Denn das Ringen mit Handschuhen zwischen dem neuen Gürtel-Tier Nikolai Walujew aus Russland (»The beast from the east«) und dem US-Amerikaner John Ruiz war eines WM-Kampfes unwürdig. Abgerundet wurde dieses traurige Spektakel durch den Ausraster von Ruiz-Coach Norman Stone, von dem sich der Ex-Champion allerdings wenigstens mittlerweile getrennt hat.
Da derzeit keine Klasse bei den massigen Jungs im Ring zu erkennen ist, verlassen sich die Manager, die Regina Halmichs Rundentänzchen mit Stefan Raab einst verdammt hatten, verstärkt auf die PR. So verkündete das Sauerland-Boxteam vor Weihnachten, dass sie dem »russischen Riesen«, der die Feiertage im heimischen St. Petersburg mit Frau Galina und Söhnchen Grischa verbringt, ein besonderes Geschenk zum Titel und Fest machen werden.
Er bekommt ein Hochdruckgebiet geschenkt. »Wir haben ja fest damit gerechnet, dass Nikolai Weltmeister wird«, sagt Manager Wilfried Sauerland, »und deshalb wollten wir uns für ihn etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Da kam die Idee mit dem Hochdruckgebiet. Das 14. Hoch des Jahres wird Nikolai heißen und die Menschen hoffentlich mit schönem Wetter erfreuen.« Besser wär's doch mit gutem Boxen.
Wie groß die Verzweiflung in der Branche derzeit ist, dokumentiert aber vor allem die Anfrage von Don-King Sohn Carl an Axel Schulz, er solle doch bitte über ein Comeback nachdenken. Der in drei WM-Kämpfen Sieglose (gegen George Foreman, Francois Botha und Michael Moorer) zog sich vor sechs Jahren aus dem Ring zurück, nachdem er in Köln von Wladimir Klitschko, auch einer aus der Garde der hoch Gejubelten und tief Gefallenen, so heftig verhauen wurde, dass sich endlich die Einsicht breit mache: Es reicht.
Seitdem hält er sich mit Gastauftritten in Dumm-Dumm-Sendungen fit, macht Werbung für Flaschenöffner und ähnlich hochwertige Produkte. Die einzig wahre Reaktion auf so eine Idee kommt von Universum-Trainer Fritz Sdunek: »So verkommt unser Sport zum Kirmes-Boxen.« Fehlt zur Abrundung auf der nach unten offenen Peinlichkeits-Skala nur die Idee, Walujew gegen Schulz am 28. September 2006 in der Max-Schmeling-Halle boxen zu lassen. Da würde der 2005 verstorbene Namensgeber der Berliner Sportstätte an seinem 101. Geburtstag aber im Grab rotieren.
Doch das Massen-Problem grassiert weltweit: Hasim Rahman, Lamon Brewster, Chris Byrd heißen derzeit die anderen Titelträger neben Walujew. Deshalb versucht man in den Staaten immer mal wieder das »Tier« Mike Tyson mit Dollar-Millionen zu locken. Obwohl selbst das sich mittlerweile finanziell nicht mehr für die US-Pay-TV-Sender lohnt.
Das abschließende Urteil eines fachlich Gewichtigen zur aktuellen Situation: »Momentan gibt es keinen Kämpfer, den anzusehen sich es lohnt.« Leider hat Lennox Lewis damit recht.

Artikel vom 24.12.2005