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Haben Tedros gern aufgenommen

Bethel: Familie gab schwerkrankem Kind aus Eritrea ein Zuhause

Bielefeld (WB). »Er war eine Bereicherung für unsere Familie!« sagt Stefani Jürgenschellert, die mit ihrem Mann Klaus vor zehn Monaten den schwerkranken Tedros aus Eritrea in ihrer Familie aufnahm. Der achtjährige Junge war an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und kam über die Kinderhilfsorganisation »Hammer Forum« im Januar nach Bethel, wo er in der Kinderklinik Bethel des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld (EvKB) behandelt wurde. Ende November konnte der Junge geheilt in seine Heimat zurückkehren.

»Wir sind der Familie Jürgenschellert sehr dankbar, dass sie Tedros für die Zeit der Behandlung ein Zuhause gegeben hatten«, sagt Prof. Dr. Johannes Otte, leitender Arzt der Kinderklinik Bethel, wo der Junge kostenlos behandelt wurde. »Es hat seinem Genesungsprozess sehr geholfen. Der Junge hätte sonst wohlmöglich die ganze Zeit im Krankenhaus verbringen müssen.«
Im »Hammer Forum« engagieren sich Ärzte, Gasteltern, Pfleger, Krankenschwestern und viele Andere ehrenamtlich für erkrankte und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten. Ziel ist die medizinische Versorgung der Mädchen und Jungen, die dazu nach Deutschland transportiert werden, weil in ihrem Land eine ausreichende Behandlung nicht möglich ist. Nach meist mehrmonatigem Aufenthalt kehren die Kinder in ihre Heimat zurück.
Das Bielefelder Ehepaar Jürgenschellert hatte über persönliche Kontakte zu einer Mitarbeiterin der Kinderklinik Bethel vom Schicksal des Jungen aus Eritrea erfahren. Da er nicht während der ganzen Behandlungszeit im Krankenhaus sein musste, suchte das Team um Prof. Otte eine Familie, die ihn aufnehmen konnte. Nach einem gemeinsamen Gespräch und einem Treffen mit Tedros hatten sich Stefani und Klaus Jürgenschellert schnell entschlossen den Jungen auf eigene Kosten aufzunehmen. Die Reaktionen ihrer drei eigenen Kinder waren zunächst ganz unterschiedlich und reichten von »Oh nein« bis zu, »Cool, da haben wir einen mehr zum Fußballspielen«.
»Der Anfang war nicht leicht«, erinnert sich Stefani Jürgenschellert. »Unser Alltag veränderte sich sehr stark, weil Tedros am Anfang durch die Chemotherapie ein stark geschwächtes Immunsystem hatte und nur wenig Kontakt zu anderen Menschen haben durfte«, so die Pflegemutter, die von Beruf Krankenschwester ist. Ein weiteres Problem war zunächst die sprachliche Verständigung. »Unsere Kinder haben toll auf die neue Situation reagiert und ohne große Probleme auch akzeptiert, dass unser Sommerurlaub in diesem Jahr ausfiel.«
In Bethel wurde Tedros in Abständen von zwei bis drei Wochen zunächst mit einer Chemotherapie behandelt. Hierzu wurde er immer für ein paar Tage stationär aufgenommen. Später folgten Bestrahlungen, die im St. Franziskus Hospital durchgeführt wurden. Der Verlauf seiner Erkrankung wurde dazwischen durch regelmäßige Untersuchungen genau verfolgt. Nachdem es ihm gesundheitlich immer besser ging, konnte er mehr und mehr an allen Aktivitäten der Familie teilnehmen. »Wir waren viel mit ihm unterwegs«, berichtet Klaus Jürgenschellert. Dadurch hat er viel von Bielefeld, Ostwestfalen und in den Herbstferien auch von Holland gesehen. »Das Meer war dort toll«, erzählt der Junge begeistert, der durch den Aufenthalt in der Familie Jürgenschellert schnell gelernt hat, auch Deutsch zu sprechen.
Besonders gut hat sich Tedros mit Lina, der siebenjährigen Tochter von Stefani und Klaus Jürgenschellert, verstanden. »Die beiden waren wie Zwillinge und haben sehr viel Zeit miteinander verbracht«, erinnert sich ihr Vater. »Oft haben sie zusammen gebastelt oder Memory gespielt.« Entsprechend schwer viel dem blonden Mädchen der Abschied von ihrem Freund. »Das ist nicht schön, dass er wieder nach Afrika geht«, sagte sie vor seiner Abreise traurig. Tedros freute sich hingegen sehr, seine Familie mit zwei Schwestern und vier Brüdern, die in einem kleinen Dorf ohne Strom und Telefon leben, wieder zusehen. »Ich werde ihnen viele Bilder aus Deutschland zu zeigen. Ganz besonders die Fotos mit Schnee. Die werden staunen«, sagte Tedros lachend.
»Der Abschied ist uns allen nach zehn Monaten sehr schwer gefallen«, erzählt Stefani Jürgenschellert. »Er war Teil unserer Familie und hat uns mit seiner Fröhlichkeit viel zurückgegeben. Wir haben ihn gerne bei uns aufgenommen und können uns gut vorstellen, später noch einmal ein Pflegekind aufzunehmen.« Ganz herzlich bedankt sie sich bei allen, die Tedros und sie in den letzten Monaten begleitet und unterstützt haben.« Jetzt hoffen Stefani und Klaus Jürgenschellert mit ihren Kindern Lina, Nils und Lukas bald eine Nachricht von Tedros aus Eritrea zu erhalten, vielleicht noch zu Weihnachten.

Artikel vom 22.12.2005