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Tea Time in Hongkong
Sehen und Gesehenwerden in der Lobby des noblen Peninsula Hotels
Der Kerl am linken Nachbartisch ist ein Chinese, wie er im Buche steht. Laut und vernehmlich zieht er den Rotz hoch, das schnarchig-schnurpselnde Geräusch übertönt für Sekundenbruchteile die zarten Walzerklänge des Orchesters auf dem kleinen Balkon.
Der Mann scheint ein Chinese mit guten Manieren zu sein, denn weder spuckt er auf den Fußboden, noch entsorgt er dort irgendwelche Speisereste. Ein (offensichtlicher Lands)-Mann beugt sich von rechts zu mir und entschuldigt sich in einem Versuch von Oxford-Englisch: »I'm very sorry, Sir, aber so sind sie eben, die Neureichen von drüben, aus China. Wir hier in Hongkong haben von den Engländern ja wenigstens Benimm gelernt.«
Es ist Tea Time im Peninsula Hotel von Hongkong, korrekt sagt man sogar »High Tea«, und die Nobelherberge gibt sich im Foyer ganz volkstümlich. Wer etwa 25 Euro für Tee und eine dreistöckige Etagère voller kleiner Köstlichkeiten berappen kann, darf sich in der Lobby breit machen. Man nagt genüsslich am Schinkenbrot und Lachs-Sandwich, knabbert Cones und lässt sich Mini-Ausgaben von Erdbeer- und Käsekuchen schmecken und gibt sich der Beobachtung seiner Nachbarn hin.
Das Foyer gleicht dem Kosmos, der Oberkellner ist die Sonne, um den die Bedienungen planetengleich kreisen, immer auf Zack, denn die Gäste können heißes Wasser für den zweiten, dritten und vierten Aufguss nachbestellen. Der ist kostenlos - ebenso wie das Souvenirfoto, »ach bitte, könnten Sie mal eben hier drücken und Finger drauflassen, bitte den Ausschnitt etwas nach unten korrigieren.«
In diesem Kosmos gibt es hell strahlende Fixsterne, fixe Kometen, schwarze Löcher und natürlich auch Kometen, die kommen und gehen, und keiner sieht sie je wieder - manche will man auch gar nicht wiedersehen. Da kommt die junge Chinesin mit ihrer besten Freundin, um das Schnäppchen im nahe gelegenen Versace-Shop mit einem Fläschchen Schampus zu begießen. Hinter mir sitzen zwei Geschäftsleute und führen leise ein Vier-Augen-Gespräch, möglicherweise haben sie sich zu separaten Verhandlungen aus einer größeren Konferenz ausgeklinkt. Ihr Tee scheint kalt zu werden. Da hinten, ist das nicht Robin Williams? Fein gekleidet, superelegante Frau an seiner Seite, aber keiner ist sich so ganz sicher.
Jeder Tisch der Lobbby ist besetzt. Daher muss, wer nicht reserviert hat, leider Schlange stehen. Da fühlt man sich so ein bisschen wie Zaungast in einer Welt, in der man für einen Moment geduldet wird. Die Wartenden werden nach ganz hinten verbannt, verdecken die Auslagen von Cartier. Wer dort steht, darf nicht fotografieren. Dafür sorgen finstere Männer mit Knopf im Ohr, dunklem Anzug und auf dem Rücken verschränkten Armen. Auch ein arabisches Paar steht dort unschlüssig. Der Mann im feinen Zwirn macht Miene, als sei er es zu Hause nicht gewohnt, zu warten. Seine hübsche Frau mit der riesigen Sonnenbrille hingegen genießt es sichtlich, sich beim Sehen und Gesehenwerden präsentieren zu dürfen.
Okay, ich bin mit Jeans und Tiger-T-Shirt aus Teneriffa etwas »underdressed«, das ist aber immer noch besser als der Ami, der bereits einen Platz bekommen hat und mit der Menükarte wenig anfangen kann. Sein Fastfood-Bauch zittert, als er den Ober mit donnernder Stimme fröhlich fragt: »Got any Burgers?« Sein Muskelshirt gibt tätowierte Oberarme frei, die weißen Socken in den Sandalen haben Löcher. Seine Begleiterin trompetet mit lautem Singsang »oh look, that's gorgeous«, wobei sie beim »look« und beim »gor« vor Verzückung beinahe ins Falsett fällt.
Und dann sind da noch jene, die ganz bescheiden am liebsten einen Tisch in der hintersten Ecke hätten - bloß nicht auffallen, nur mal Mäuschen spielen, mal eine Stunde mitspielen im Konzert der vermeintlich Schönen und Reichen. Dafür bezahlt man auch mal den teuren »Eintritt«.
Zwei von denen sehe ich später auf der Star Ferry von Kowloon nach Victoria Island wieder. Sie beugt sich zu ihm hinüber und flötet mit rheinischem Dialekt: »Dat lecker Pralinchen han isch mir einpacken lasse, als Du auf Toilette warst. Wat Süßet für mein Süßen! Dat schmeckt Dir auch im Dreisternehotel.«
Thomas Albertsen

Artikel vom 24.12.2005