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Stroh zu Gold spinnen - gibt's nicht

Zum Hochfest der Geburt Jesu Christi von Weihbischof Matthias König

»Verwandeln Sie einen Haufen Stroh ... in Weihnachtsfreude«
(aus einem Spendenaufruf)

Weihbischof Matthias König aus dem Erzbistum Paderborn.
Liebe Leserin, lieber Leser!

Ich bekam vor einiger Zeit einen Spendenaufruf zugeschickt, auf dem das zusammengebrochene Strohdach einer armseligen Hütte zu sehen ist. Und darunter die Aufforderung: »Verwandeln Sie einen Haufen Stroh ... in Weihnachtsfreude!«
Beim Nachdenken über diese Aufforderung kam mir das Märchen vom Rumpelstilzchen in den Sinn. Das kleine, geheimnisvolle Männchen, das Stroh zu Gold spinnt, spricht eine ganz urtümliche Sehnsucht des Menschen an: das tiefe Verlangen, Alltägliches in Wertvolles verwandelt zu sehen, Vergängliches in Beständiges.
Gerade das Weihnachtsfest ist bei den meisten von so etwas wie einer »Rumpelstilzchen-Sehn-sucht« geprägt. Zu keiner Zeit des Jahres wird so viel »in Familie gemacht«. Doch gerade jetzt entpuppt sich die gesuchte Idylle bei vielen als »Stroh«. Die Sehnsucht nach dem »Gold« familiärer Harmonie scheitert an der rauhen, stacheligen, strohigen Wirklichkeit: Die Unfähigkeit, miteinander vernünftig zu reden, und übersteigerte Erwartungen machen die ersehnte Geborgenheit zu leerem Stroh.
Wenn dann noch die Last einer Krankheit hinzukommt, die Erfahrung von Einsamkeit oder große Sorgen - dann wird überdeutlich, dass wir eben nicht die Fähigkeit von Rumpelstilzchen haben: Wir schaffen es nicht, aus dem Stroh des Gewöhnlichen und Belasteten das Gold von Glück, Harmonie und Frieden zu spinnen.
Im Großen setzt sich das fort: Warum haben so viele Menschen die Illusion, ausgerechnet zu Weihnachten würden die Kriege und Gewalttaten in der Welt ausgesetzt, würden Katastrophen verschoben und die Not und das Elend vieler Menschen pausieren? Weihnachten spinnt auch aus diesem Stroh kein Gold.
Damit sind wir ganz nah bei der Weihnachtsbotschaft, denn sie sagt uns zu: Weil der Mensch sich und diese Welt nicht selber erlösen kann, sendet Gott seinen eigenen Sohn auf die Erde. Gott lässt Jesus Christus Mensch werden, weil wir Menschen nicht das viele Stroh der Unvollkommenheit und des Scheiterns in Gold zu verwandeln vermögen.
Diese Verwandlung bringt Gott allein zustande. Und sie hat einen hohen Preis: Leiden und Tod seines Sohnes, die ihren Ausgangspunkt in der Geburt Christi haben. Wir Menschen sind Gott einen solch hohen Preis wert. Er will den Menschen verwandeln und ihn nicht in der Ausweglosigkeit des Daseins steckenlassen. All das Stroh der Unvollkommenheit hat die Chance, durch Gottes Handeln in Jesus Christus den Glanz des Göttlichen zu erhalten.
Weihnachten ist das große Fest der Verwandlung. Seine Botschaft verspricht: Seit der Menschwerdung Jesu Christi ist alles anders. Das menschliche »Stroh« trägt die Möglichkeit in sich, Gold zu werden, seit Gott ein Mensch geworden ist.
»Verwandeln Sie einen Haufen Stroh ... in Weihnachtsfreude!« Wenn Gott die entscheidende Verwandlung bewirkt, darf der Mensch daran mitarbeiten: Wir verwandeln Stroh in Weihnachtsfreude, wenn wir die nicht vergessen, die niemanden haben, und uns vielleicht in diesen Tagen besonders einem einsamen Menschen zuwenden.

Artikel vom 24.12.2005