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Mutter spendet ihrem kleinen Sohn eine Niere

Vor einem Jahr kam Rico krank zur Welt - Seine Pflege ist ein Ganztagsjob - Transplantation soll ihn retten

Von Christian Althoff
Versmold (WB). Es ist vielleicht der größte Liebesbeweis, den eine Mutter ihrem Kind entgegenbringen kann: In Versmold steht Petra K. (39) bereit, um ihrem einjährigen Sohn Rico eine Niere zu spenden. »Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen«, erzählt die Frau aus dem Kreis Gütersloh.

Flink krabbelt Rico zur Terrassentür, zieht sich an den Fenstersprossen empor und versucht, eine Fliege zu fangen. Nichts lässt vermuten, dass der fröhliche Junge mit den roten Wangen schwer krank ist - wäre da nicht der dünne Schlauch, der durch Nase und Speiseröhre in den Magen führt. »Durch diese Sonde flöße ich Rico Tee und Medikamente ein«, erklärt seine Mutter.
Der Junge war am 27. Dezember 2004 im Krankenhaus Halle mit nur einer Niere zur Welt gekommen. »Und die funktionierte nicht richtig«, erinnert sich Ricos Vater Peter R. (41). Nach drei Operationen in der Medizinischen Hochschule Hannover stand im Februar fest, dass das Kind auf Dauer mit der Niere nicht würde leben können. »Das Organ hat nur noch eine Leistungsfähigkeit von sieben Prozent«, sagt Petra K. »Rico wächst sozusagen aus seiner Niere heraus. Sinkt der Wert auf fünf Prozent muss er an die Dialyse.« Diese Belastung, die zudem keine Dauerlösung wäre, wollen Eltern und Ärzte dem Kind ersparen. Seit August steht der Junge deshalb bei Eurotransplant auf der Warteliste. »Findet sich in absehbarer Zeit kein Organspender, wird Rico eine meiner Nieren bekommen«, sagt die Mutter.
Bis zur OP sorgen die Eltern auf jede nur erdenkliche Weise für den Jungen. »Manchmal fürchten wir, dabei seinen dreijährigen Bruder Yannik zu vernachlässigen«, sagt der Vater. Denn Ricos Versorgung ist ein Ganztagsjob: Alle zwei Stunden muss der kleine Urinbeutel entleert werden, der vom Hosenbein verdeckt wird und in den der Blaseninhalt durch einen Katheter fließt. Dann bekommt Rico mehrmals täglich verschiedene Mineralien, ein blutbildendes Präparat und ein Antibiotikum. »Wir mussten einen Extra-Kühlschrank für die vielen Medikamente anschaffen«, erzählt die Mutter, die ihrem Sohn außerdem fünfmal am Tag vier Spritzen voll Tee durch die Magensonde drückt - auch nachts, denn Rico braucht mindestens 1,2 Liter Flüssigkeit pro Tag. Als reiche dieses Programm noch nicht aus, zieht sich der Junge beim Spielen auch schon mal die Magensonde heraus. Dann müssen die Eltern zu ihrem Kinderarzt Armin Sornig nach Werther oder zur Kinderklinik nach Bielefeld-Bethel fahren, um den kugelschreiberminendünnen Schlauch wieder einführen zu lassen.
Das Thema Organspende war für die Eltern nicht neu: »Ich besitze einen Spenderausweis, seit mein Bruder im Zivildienst als Rettungssanitäter gearbeitet hat und wir mit meinen Eltern darüber diskutiert haben«, sagt Peter R. »Warum sollen meine Organe nach meinem Tod verrotten, wenn sie anderen Menschen das Leben retten können?« Dagegen hat eine Spende zu Lebzeiten naturgemäß auch Auswirkungen auf den Spender: »Natürlich habe ich nicht vor Begeisterung in die Hände geklatscht«, gibt Petra K. zu. Sie und ihr Mann seien begeisterte Motorradfahrer, doch jetzt werde sie ihre BMW verkaufen: »Wenn ich nur noch eine Niere habe, muss ich vorsichtiger leben und das Risiko einer Nierenquetschung einschränken«, sagt die 39-Jährige, die in den vergangenen Wochen im wahrsten Wortsinn auf Herz und Nieren überprüft worden ist: »Die Ärzte in Hannover wollen sichergehen, dass ich die Organspende gut überstehe. Blut- und Urin-Tests, ein 24-Stunden-EKG, Kontrastmitteluntersuchungen im Computer-Tomographen - ich glaube, auf viel mehr kann man einen Menschen gar nicht überprüfen«, lacht Petra K., die weiß, dass die Untersuchungen einen ersten Hintergrund haben: »Mit nur einer Niere steigt der Blutdruck, und das Herz wird mehr belastet. Wäre mein Kreislauf schon jetzt nicht in Ordnung, hätten die Ärzte mir die Spende wohl untersagt.«
Auch ethische Fragen der beabsichtigten Organübertragung waren zu klären: »Anfang Dezember bin ich in der Ärztekammer Hannover von einer Kommission angehört worden, zu der ein Richter, ein Arzt und ein Psychologe gehörten. Sie wollten sicherstellen, dass ich meinen Entschluss aus freien Stücken gefasst habe und die Risiken kenne«, erzählt die Versmolderin, die Rico zu dem Termin mitgenommen hatte: »Die freuten sich, auch mal einen künftigen Organempfänger kennenzulernen«, schmunzelt die Mutter.
Obwohl Petra K. für die Operation bereitsteht, hofft sie, dass Eurotransplant in den kommenden Wochen vielleicht doch noch ein anderer Organspender findet: »Niemand kann sagen, wie lange Ricos neue Niere funktionieren wird. Deshalb wäre es beruhigend für uns, wenn er jetzt zunächst das Organ eines Fremdspenders bekäme und ich ihm erst in zehn oder 15 Jahren eine meiner Nieren spenden könnte.«

Artikel vom 24.12.2005