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CIA-Gefangenentransporte:
Schily gerät in Bedrängnis

US-Außenministerin Rice verteidigt geheime Flüge von Terrorverdächtigen

Berlin (dpa). In der Affäre um angebliche CIA-Gefangenentransporte gerät Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) in Bedrängnis. Sowohl Regierungs- als auch Oppositionspolitiker forderten den ehemaligen Minister gestern dazu auf, seine Rolle in der Affäre aufzuklären.
Drei Flugzeug-Beobachter stehen mit Kameras und Fernglas »bewaffnet« auf der Aussichtsterrasse des Frankfurter Flughafens. Sie sollen nach Informationen der »Berliner Zeitung« festgestellt haben, dass die Rhein-Main-Airbase von 2002 bis 2004 das wichtigste Drehkreuz für geheime CIA-Flüge in Europa war.
Otto Schily soll Stellung nehmen zur Entführung eines Deutschen.
Nach einem Bericht der »Washington Post« soll Schily im Mai 2004 von US-Botschafter Daniel Coats über die heimliche Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri durch die CIA informiert worden sein.
Schily müsse zu den Behauptungen Stellung nehmen, »denn darin steckt der erhebliche Vorwurf, dass der deutsche Innenminister, der zugleich Verfassungsminister ist, die Entführung eines deutschen Staatsbürgers stillschweigend hingenommen hätte«, sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach.
Die Bundesregierung hielt sich gestern vor dem anstehenden Besuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice mit Stellungnahmen zurück. Vor ihrem Abflug nach Deutschland verteidigte die US-Politikerin Geheimtransporte von Terrorverdächtigen in verschiedene Länder. Sie machte aber keine Angaben darüber, ob Berichte über CIA-Geheimgefängnisse in Europa zutreffen.
Geheime Gefangenentransporte würden seit Jahrzehnten nicht nur von den USA, sondern auch von anderen Nationen durchgeführt, hieß es in einer Erklärung der Ministerin auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews im US-Bundesstaat Maryland. Sie seien unter dem internationalen Recht zulässig und entsprächen der Verantwortung der betreffenden Regierungen, ihre Bürger zu schützen. Geheimdienstliche Informationen, die auf diese Weise gesammelt worden seien, hätten Terrorattacken verhindert und Menschenleben gerettet. Nicht nur in den USA, auch in Europa.
Rice trifft heute in Berlin Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Im Fall El-Masri ermittelt seit Sommer 2004 die Münchner Staatsanwaltschaft wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung gegen Unbekannt. El-Masri war nach fünf Monaten freigelassen worden, nachdem sich eine Namensverwechslung herausstellte.
Auch die Oppositionsparteien forderten von Schily Aufklärung und wollen von der Bundesregierung wissen, ob sie von den CIA-Gefangenentransporten über deutsche Flughäfen wussten. Dass der damalige Kanzleramtschef Steinmeier und der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in diesem Fall nicht informiert worden seien, »das glaubt kein Mensch«, sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel.
Die Bundesregierung müsse von Rice bei deren Deutschlandbesuch »eine verbindliche Auskunft« einfordern und dürfe sich nicht mit Floskeln abspeisen lassen. Die Grünen forderten Schily zu »völliger Transparenz« auf. »Hat Minister Schily das für sich behalten?«, fragte der Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer.
Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, warf der jetzigen und vorigen Bundesregierung fortgesetzte Hinhaltetaktik vor. Schily müsse umgehend Stellung nehmen, ob er vom amerikanischen Botschafter über die Verschleppung eines deutschen Staatsbürgers durch die CIA informiert wurde. Er sei der für die Wahrung der Verfassung zuständige Minister gewesen.
Es müsse Klarheit darüber hergestellt werden, ob Schily diese Informationen innerhalb der Bundesregierung weitergegeben habe. Der Verdacht, dass bei den CIA- Aktionen Menschenrechtsverletzungen begangen oder vorbereitet wurden und das Völkerrecht missachtet wurde, sei bisher nicht ausgeräumt.
Das Innenministerium will den Vorgang um die angebliche Information Schilys rekonstruieren, wie Ministeriumssprecher Bruno Kahl sagte. Es sei nicht unüblich gewesen, dass Coats um kurzfristige Termine bei Bundesministern gebeten habe.Seite 4: Kommentar

Artikel vom 06.12.2005