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Kuranyi ist einsame Spitze

Der FC Schalke 04 tritt auch in Bielefeld mit dem Ein-Mann-Sturm an

Von Klaus Lükewille
Gelsenkirchen (WB). 18 Tore in 14 Spielen. Die Trefferquote des FC Schalke 04 ist nicht gerade spitzenmäßig. Aber das soll sich ändern, denn Trainer Ralf Rangnick baut und vertraut auf seine neue Taktik. Der Ein-Mann-Sturm Kevin Kuranyi (23) war zuletzt gefährlicher als ein Angriffs-Trio.

Auch an diesem Samstag, beim Gastspiel in Bielefeld, setzt der königsblaue Fußball-Lehrer wieder auf dieses System, das sich schon gegen den PSV Eindhoven (3:0) und Werder Bremen (2:1) bewährte. Kevin allein im Strafraum, Kuranyi ist einsame Spitze. Aber vorerst nur in taktischer Hinsicht. Denn konstante Spitzenvorstellungen hat der Stürmer bei seinem neuen Arbeitgeber bisher noch nicht abgeliefert.
Der Start war verheißungsvoll. Beim Derby in Dortmund traf Kuranyi gegen Borussia (2:1) am 13. August doppelt, danach kam er aber einfach nicht mehr so richtig ins Spiel. Er war zwar immer erste Wahl, aber selten erstklassig. Im Oktober gab es schon kritische Stimmen: Hatten die Schalker da für eine dicke Ablöse-Summe von immerhin sieben Millionen Euro, überwiesen an den VfB Stuttgart, etwa schon wieder den falschen Angreifer verpflichtet?
Denn Ailton erwies sich trotz seiner 14 Saisontore nicht unbedingt als »Volltreffer«, sie ließen den Brasilianer nach nur einer Saison schon wieder in Richtung Istanbul ziehen.
»Kuranyi ist ein ganz anderer Typ«, verteidigt Rangnick die Verpflichtung des teuren Neuen. Richtig. Denn er spielt auch mit und für die Mannschaft, während Ailton nur den Solisten mimte. Dabei darf Kuranyi inzwischen ebenfalls sein »Solo« geben. Als einzige Spitze hat er eine hervorgehobene Rolle, ein Einzelgänger ist er auf dem Platz aber nicht eine Sekunde. Denn die frühzeitige Attacke gehört zum Repertoire des Angreifers. »Kevin erobert viele Bälle«, freut sich sein Trainer.
Nach Anpassungs-Problemen geht die Formkurve des 35-fachen Nationalspielers inzwischen nach oben. Was auch private Gründe hat. Freundin Viktoria und Söhnchen Carlo sind da: »Meine Familie wohnt jetzt auch in Gelsenkirchen, das gibt mir den nötigen Rückhalt.«
Es stimmt endlich. Zu Hause - und auf dem Platz. Kuranyi stellte zuletzt seine Torjäger-Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis. Er kann im Strafraum alles. Da gelingen ihm platzierte Kopfball-Treffer wie gegen Istanbul und Duisburg. Oder ein trickreicher Kunstschuss wie gegen Köln - und typische »Abstauber«.
Immer richtig stehen, immer einen Fehler des Gegners einkalkulieren, das kann auch nicht jeder. Kuranyi hat diese besondere Klasse gleich zwei Mal unter Beweis gestellt. In Istanbul ahnte er, dass Torwart Volkan am Ball vorbei treten könnte - und nahm das Geschenk an. Oder vor einer Woche gegen Bremen: Da »roch« er den Rückpass von Naldo und bedankte sich mit dem 1:0.
Treffer, wie sie früher Gerd Müller in Serie erzielte. Der erfolgreichste Torjäger aller Zeiten hält allerdings nicht besonders viel von Kuranyi: »Das ist für mich kein Top-Mann«. Den sicheren WM-Kandidaten interessiert das überhaupt nicht: »Ich muss keinem etwas beweisen. Auch keinem Müller. Nur mir selbst.« Aber wohl auch den Schalkern, die ihn holten. Hier gibt es ebenfalls einen Müller, Vorname Andreas. Der Teammanager freut sich zwar, dass Kuranyi besser in Schwung kommt, sieht aber Luft nach oben: »Kevin kann viel mehr.«
Mehr zeigen möchten auch Ebbe Sand und Sören Larsen. Doch die stürmischen Dänen sind vorläufig die »Opfer« der neuen Spitzen-Taktik. Larsen, zu Saisonbeginn gefeiert, ist jetzt ebenso zweite Wahl wie der Kapitän. Sand, der seine letzte Saison auf Schalke spielt, ist mit dieser Reserve-Rolle natürlich gar nicht zufrieden. Gegen Bremen wurde er erst 120 Sekunden vor dem Abpfiff eingewechselt - als »Zeit-Schinder«.

Artikel vom 03.12.2005