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Regisseur Roman Hovenbitzer fragt nach dem Bestand der Liebe.

Zwischen Treueschwur und Verlockung

Mozarts »Entführung aus dem Serail« als Kammerspiel in der Oetkerhalle

Bielefeld (uj). »Nichts ist so hässlich als die Rache. Großmütig, menschlich, gütig sein und ohne Eigennutz verzeihn, ist nur der großen Seelen Sache.« Bis aber am Ende von Mozarts Oper »Die Entführung aus dem Serail« die beiden Paare Konstanze und Belmonte, Blonde und Pedrillo zu dieser Erkenntnis kommen, haben sie im Palast des Bassa Selim vielen Gefahren zu trotzen und die Probleme von Trennung, Eifersucht und Hass zu überwinden.

Mit der Entführung aus dem Serail schrieb Mozart 1782 in Wien seine erste Oper als freiberuflicher Komponist, nachdem er das Salzburger Dienstverhältnis beim Fürstbischof Colloredo aufgelöst hatte. Dem Zeitgeist huldigend griff er zunächst auf ein Modethema zurück: Die »Türkenoper« mit ihrem orientalischen Kolorit, Liebeshandlungen, Intrigen, Entführungen.
Darüber hinaus reagierte Mozart aber auch auf die zeitgleich geführte Debatte um die Auseinandersetzung mit den fremden, fernen Ländern und Gebräuchen in Zusammenhang mit den aufklärerischen Postulaten von Toleranz und Versöhnung: Mozarts Bassa Selim, Herrscher über das Serail, verzichtet zugunsten Belmontes auf das eigene Liebesglück. Verzicht und Vergebung, darüber definiert sich das neue Individuum.
Aber ist Liebe wirklich dauerhaft, kann sie sich nicht auch verändern? Roman Hovenbitzer, der zum ersten Mal in Bielefeld Regie führt, fragt in seiner aktuellen Inszenierung am Theater Bielefeld nach dem Bestand der Liebe. »Nicht die Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident hat mich an der Oper interessiert, sondern die Beziehungsmechanismen«, erklärt der Regisseur. Konstanze und Blonde sieht er im Wechselbad zwischen Treueschwur und Verlockung. Werden sie nach Happy-End unbeschadet in ihr altes Leben zurückkehren können, oder bleiben Brüche zurück? Die Inszenierung, so Hovenbitzer, wirft die Frage auf.
Zur Fokussierung des Sechserpersonals und seiner Beziehungen schuf Anna Siegrot (Bühne und Kostüme) einen kammerspielartigen Raum, der in seiner Enge und Konzentriertheit die Figuren unter die Lupe nimmt. »Innen- und Außenräume werden mit einfachsten Mitteln erzeugt. Die Bühne ist wie ein unbeschriebenes Blatt, aus dem die Figuren herausstechen«, sagt Anna Siegrot.
Erst die Musik, so Regisseur Hovenbitzer, lässt die seelischen Abgründe aller Figuren zutage treten. Und Kevin John Edusei, dem nach umjubeltem Fidelio-Debüt in der vergangenen Spielzeit nun zum zweiten Mal die musikalische Leitung obliegt, stützt diese Meinung: »Das Ende ist eine einzige musikalische Floskel, die das gesamte Libretto infrage stellt.«
Belmonte muss die Liebe seiner Konstanze erst wieder zurückgewinnen, die sich dem Druck des Bassa Selim nur mühsam erwehren kann. Und selbst im Happy End gibt es noch einen Störenfried: Osmin, der Aufseher des Serails, beharrt auf seiner grausamen Devise »Erst geköpft, dann gehangen...«. Er überschreitet -Êwie Mozart in einem Brief schreibt -Ê»alle Ordnung, Maß und Ziel«. »Verständlich«, sagt Roman Hovenbitzer, der den Bösewicht als gebrochene Gestalt präsentieren wird.
Es singen Melanie Kreuter (Konstanze), Victoria Granlund (Blonde), Juhan Tralla (Belmonte), Simeon Esper (Pedrillo) und Jacek Janiszewski (Osmin). In der Sprechrolle des Bassa Selim ist der Schauspieler Thomas Wolff zu erleben.
Die Premiere am Samstag, 3. Dezember, beginnt um 19.30 Uhr in der Oetkerhalle. Karten unter Telefon 51 54 54.

Artikel vom 03.12.2005