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Millionenstadt
ohne Wasser

Nach Chemieunfall in China

Peking (dpa). Eine der größten Städte Chinas hat die Wasserversorgung für vier Millionen Einwohner einstellen müssen. Erstmals räumten die Behörden von Harbin in Nordostchina ein, dass die für vier Tage geplante Unterbrechung aus Angst vor Vergiftungen durch ein Unglück in einem Chemiewerk angeordnet werden musste.

Tagelang hatte es bereits wilde Gerüchte und Panikkäufe von Wasser gegeben, bis in der Nacht zum Mittwoch die Wasserversorgung abgedreht wurde. Auf einer Länge von 80 Kilometern sei der Songhua Fluss, der durch Harbin fließt, mit Benzol vergiftet, berichtete die Umweltbehörde der Provinz Heilongjiang. Das verunreinigte Wasser werde mindestens 40 Stunden brauchen, um an der Stadt vorbeizufließen.
Aus Angst versuchten viele Menschen, mit der Bahn oder dem Flugzeug die Stadt zu verlassen. Für die nächsten zwei Tage waren keine Fahrscheine mehr für Züge zu bekommen, berichteten Reisebüros. Notfallpläne für 15 Krankenhäuser der Stadt wurden entworfen, um sich auf eventuelle Vergiftungen vorzubereiten. Nach Angaben der Behörden ist vor allem die Wasserversorgung des inneren Stadtgebiets mit seinen vier Millionen Einwohnern betroffen. Mit Vororten zählt Harbin fast zehn Millionen Menschen.
Die Vergiftung des Flusses mit Benzol passierte flussaufwärts bereits am 13. November bei der Explosion in einem Chemiewerk in der Nachbarprovinz Jilin, das am Ufer des Flusses Songhua steht. Am Montag hatte die Stadtregierung die Berichte über befürchtete Verunreinigungen als »nur ein Gerücht« abgetan und stattdessen von einer Überprüfung des Rohrsystems gesprochen.
In einer »Kehrtwende«, wie es die Tageszeitung »China Daily« nannte, räumten die Behörden dann aber die Gefahr durch die Chemikalien und den Ernst der Lage ein. Nachdem die Supermärkte bereits leer gekauft waren, wurden 16 000 Tonnen abgefülltes Trinkwasser aus anderen Städten nach Harbin transportiert. Die eigentlich schon für Dienstagmittag angeordnete Unterbrechung wurde auf Mitternacht verschoben, damit sich die Einwohner vorbereiten konnten.
Wasser wurde in Eimer und alle möglichen Behälter bis hin zu Thermosflaschen abgefüllt. »Wer weiß, wann die Wasserversorgung wieder aufgenommen wird«, wurde ein Bewohner zitiert. Die Schulen wurden geschlossen. Die Heißwasserversorgung für die Heizungen in Harbin, das zu den kältesten Städten Chinas zählt und für ein jährliches Festival mit großen Eisskulpturen bekannt ist, soll nach Beteuerungen der Behörden nicht beeinträchtigt sein. Grundwasser werde auch noch aus den Brunnen der Stadt gepumpt.
Zur Verunsicherung der Bevölkerung trug nicht nur die verharmlosende Informationspolitik der Stadtregierung über das Chemieunglück bei, sondern auch ein Gerücht über ein angeblich bevorstehendes starkes Erdbeben.

Artikel vom 24.11.2005