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Hartz: Milliarden gestrichen

Kündigungsschutz wird gelockert- Lohnnebenkosten sollen sinken

Berlin (dpa/Reuters). Nach langem Streit um die Lockerung des Kündigungsschutzes haben Union und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen einen Kompromiss ausgehandelt. Bei Neueinstellungen soll die Probezeit von sechs auf 24 Monate ausgedehnt werden können.

Endgültig, sagte SPD-Chef Franz Müntefering gestern am späten Abend, sei allerdings über die Neureglung des Kündigungsschutzes noch nicht entschieden. Bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV wollen beide Seiten vier Milliarden Euro einsparen. Geplant ist hier unter anderem, Bezieher von Arbeitslosengeld II stärker in der Landwirtschaft einzusetzen. Dazu wollen Union und SPD neue Kombi-Lohn-Modelle erarbeiten. Damit soll die Zahl von zuletzt 330 000 meist ausländischen Saisonarbeitskräften um ein Drittel reduziert werden. Beide Seiten verständigten sich außerdem auf die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte auf 4,5 Prozent. Sicher ist allerdings erst eine Ermäßigung um einen Punkt. Ziel ist, einen weiteren Punkt durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren.
Unionsfraktionsvize Ronald Pofalla betonte, die Senkung mit Hilfe der Mehrwertsteuererhöhung habe die Arbeitsgruppe Arbeit zwar nicht beschließen können. Es sei aber nach Gesprächen mit SPD-Chef Franz Müntefering und der designierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sicher, dass es so kommen werde.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer äußerte sich kritisch, die Probezeit auf bis zu zwei Jahre auszudehnen. »Wenn der Kündigungsschutz zukünftig in den ersten 24 Monaten grundsätzlich nicht mehr gilt, droht er wegzubrechen. Schon heute werden knapp 50 Prozent der Kündigungen in den ersten zwei Jahren ausgesprochen«.
Nach Angaben aus Kreisen der Finanzunterhändler ist es so gut wie sicher, dass die Mehrwertsteuer 2007 von 16 auf 19 Prozent angehoben wird. Vorgeschlagen werde auch, den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent nur noch für Lebensmittel, Bücher, Zeitungen, Kunst- und Kulturgüter und für den öffentlichen Nahverkehr gelten zu lassen.
Unterdessen wurden weitere Vereinbarungen der Koalitions-Arbeitsgruppen bekannt. So sollen nach Angaben aus Verhandlungskreisen Veräußerungsgewinne aus privaten Wertpapier- und Immobiliengeschäften generell besteuert werden. Medienberichten zufolge soll der Sparerfreibetrag auf 750 Euro halbiert werden, für Verheiratete gelte das Doppelte. Zum Ausgleich solle der Arbeitnehmerpauschbetrag aufgestockt werden.
Zudem habe sich die Arbeitsgruppe Finanzen darauf verständigt, die Pendlerpauschale für Strecken von bis zu 20 Kilometern zu streichen. Arbeitszimmer sollten nur noch dann absetzbar sein, wenn sie dem Hauptberuf dienten. Rechnungen für Steuerberater sollten nicht mehr absetzbar sein.
Die Union konnte sich nach Angaben aus Verhandlungskreisen nicht mit ihrer Forderung nach längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke durchsetzen.
Die FDP hat Union und SPD mit einem Untersuchungsausschuss gedroht. »Wer den Bürgern derartig in die Tasche greift, und Wahlbetrug in Reinkultur betreibt, muss sich einem Lügenausschuss stellen«, sagte FDP-Vorstandsmitglied Jürgen Koppelin. Themen der Zeit

Artikel vom 10.11.2005