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Die Politik schaut hilflos zu

Jugendliche randalieren in Frankreich - Regierung steht unter Druck

Von Hanns-Jochen Kaffsack
Paris (dpa). Worte so beißend wie ein Pitbull sind Markenzeichen des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy. Für »Abschaum« und »Ganoven« hält der Rechtsausleger der konservativen Pariser Regierung randalierende Jugendliche in den Vorstädten.
Sarkozy: mal rechte, mal linke Sprüche ohne Konzept.

Doch die markigen Äußerungen des 50-jährigen Kandidaten für das Amt des Präsidenten heizen nur an, was sich seit einer Woche Nacht für Nacht rund um Paris abspielt. Frustrierte jugendliche Einwanderer setzen die Kraftprobe mit ihrem Feindbild fort: »Das ist nur der Anfang, wir machen weiter, bis Sarkozy geht«, so gibt einer als Parole aus. Die von allen Seiten kritisierte Regierung ist unter Druck und hilflos.
»Wir sind dafür da, dieses Krebsgeschwür auszumerzen, wir werden uns dieses Gesindels entledigen.« Sarkozys seit längerem gepflegte Philosophie, unruhige Vorstädte mit dem »Kärcher« (Hochdruckreiniger) säubern zu wollen, zielt auf die wichtige Wählerschaft am rechten Rand. »Frankreich ist es, was ausländische Horden hier angreifen«, das ist wiederum der Originalton des Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen zu den Krawallen. Und beide wissen recht genau, was der »Normalfranzose« von den »Krawallmachern aus Nordafrika« so hält.
Abgesagte Politiker-Reisen, eine Krisensitzung nach der anderen, beschwörende Rufe nach Ruhe und Ordnung. Erst hat Sarkozy Öl in das Feuer gegossen, um radikale Wähler zu bedienen. Nun versucht die Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin händeringend, die Flammen zu löschen. Bislang hat sie noch kein Rezept gefunden. Im Gegenteil - was bei Paris begann, droht zum Flächenbrand zu werden.
»Man kann doch nicht einfach hingehen, die jungen Leute zur Weißglut bringen und sich dann schlafen legen.« Sarkozys kriegerische Haltung ruft mittlerweile sogar klare Kritik der ihm unterstellten Polizei auf den Plan: »Wir sind rund um die Uhr mit der Lage in den Vorstädten konfrontiert, solche Äußerungen wie die von der »Säuberung der Cités« sind jetzt einfach unangebracht«, ruft Francis Masanet, Vize-Generalsekretär der Polizeigewerkschaft, erregt nach »Dialog«.
Was hat Sarkozy sich dabei überhaupt gedacht? Innenminister mit Unterbrechung seit 2002 und Gegenspieler von Präsident Jacques Chirac, plagt den 50-Jährigen - wie die gesamte Politikerklasse in Paris - das »Trauma vom 21. April 2002«. Damals war Jean-Marie Le Pen sensationell in die Stichwahl für das Präsidentenamt eingezogen. Bei der nächsten Schlacht um den Elysée-Palast im Mai 2007 steht mit voraussichtlich 16 Kandidaten eine noch stärkere Bewerber-Inflation an, was erneut Erfolge extremer Kräfte begünstigen könnte.
»Die Unsicherheit im Land ist wie eine Quecke - ist Sarkozy nicht nur mit einem Unkrautvertilgungsmittel dagegen vorgegangen, ohne sie an der Wurzel auszureißen?«, fragt das Wochenmagazin »L'Express« und hält ihm vor, Law-and-Order-Parolen mit diffusen Ausflügen in linkes Denken zu garnieren. So hatte er ein Kommunalwahlrecht für Ausländer in die Debatte gebracht. Mit jeder heißen Nacht sinkt sein Stern weiter. Politiker rechts von Sarkozys und Chiracs Regierungspartei UMP treffen sich medienwirksam in den Problemvierteln.
Und einer der großteils muslimischen Krawallmacher sagt derweil einem Reporter ins Mikrofon, nach dem Fastenmonat Ramadan werde es »Krieg geben«.Kommentar

Artikel vom 05.11.2005