03.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Meisterrealist ist
noch »ganz fit«

Dieter Wellershoff wird heute 80

Von Günter Wächter
Köln (dpa). »Mein Interesse ist das konkrete Leben der Menschen. Und zwar gerade das jenseits der Ideologien«, sagt Dieter Wellershoff. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, der auch einmal als »Meisterrealisten« bezeichnet wurde, wird heute 80 Jahre alt.

Sein Interesse ist nach wie vor ungebrochen. Das zeigt auch der in diesem Jahr erschienene Erzählband »Das normale Leben«, in dem Wellershoff in zehn Erzählungen seine Beschreibung der alltäglichen Glückssuche der Menschen unserer Zeit fortsetzt.
»Was ich darstelle, sind immer die Menschen, die sich in ihrer Verschiedenheit begegnen und denen die Gesellschaft sagt: Mach was aus Deinem Leben, versuch, glücklich zu sein, versuch, Dich selbst zu verwirklichen«, sagt Wellershoff mit Blick auf sein Werk.
Der Germanist und Psychologe, dessen Promotion über Gottfried Benn bis heute als Standardwerk gilt, und der viele Jahre lang als Lektor für den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch arbeitete, gehört nach den Worten eines Kritikers »zu den erstrangigen deutschen Autoren, die mit erfreulich wenig Getöse um ihre Person auskommen«. Vielleicht gerade deshalb hat er nie wie Günter Grass oder Heinrich Böll in der ersten Reihe gestanden.
Zu Wellershoffs Werken gehören mehr als 40 Romane, Theaterstücke und Drehbücher, Hörspiele und Erzählbände. Vor fünf Jahren legte er den Roman »Der Liebeswunsch« vor. Er bescherte ihm ungeahnten Erfolg. »Der Roman hat mehr als 150000 Auflage«, sagt er fast staunend und nicht ohne Stolz. Dann spricht er, der mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen Ausgezeichnete von seinem Alterswerk.
Dazu zählt Wellershoff neben dem jüngsten Roman und dem Erzählband auch den literaturwissenschaftlichen Essayband »Der verstörte Eros. Zur Literatur des Begehrens«, der 2001 erschien. »Wo ich sozusagen den Traditionshintergrund meines Themas dargestellt habe, wie sich das bei Schriftstellern von Goethe bis heute spiegelt: Liebe, Sexualität, Leidenschaft, Illusion. Es war immer schon mein Thema.«
Heute freut sich der in Neuss geborene Wellershoff auf ein Fest zu Hause in Köln mit seiner Frau, den drei Kindern und den Enkelkindern sowie Freunden. Die Stadt ehrt ihn am 26. November im historischen Rathaus. Wenn er Buchpläne hätte, würde er nicht darüber reden, sagt Wellershoff. »Es hängt davon ab, ob man merkt, dass man die Fähigkeit hat, so wie früher zu schreiben. Wenn ich merke, dass sie etwas nachlässt, dann tue ich es nicht mehr. Das hat keinen Sinn.« Dann fügt er jedoch noch hinzu: »Aber ich fühl mich noch ganz fit.«

Artikel vom 03.11.2005