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Schwarze Seele
verborgen im
weißen Anzug

Theatersaison startet mit »Tartuffe«

Von Stefanie Westing
Espelkamp (WB). Noch bevor sich der Vorhang hebt, dröhnt die Musik von »I need a hero« durch das Neue Theater. Und genau um eben jenen - vermeintlichen - Helden drehte sich das Schauspiel »Tartuffe«, mit dem das Volksbildungswerk am Sonntagabend vor nicht ganz ausverkauftem Haus die neue Theatersaison eröffnete.

In der Titelrolle glänzte dabei einmal mehr Jörg Pleva, der sich auf das Werk von Jean-Baptiste Poquelin, genannt Molière (1622 bis 1673), spezialisiert hat und bereits im vergangenen Jahr als »Der Geizige« die Herzen des Espelkamper Publikums eroberte. Wer allerdings meinte, bei »Tartuffe« - immerhin als Komödie ausgewiesen - kämen die Lachmuskeln genauso zum Einsatz wie beim »Geizigen«, wurde eines Besseren belehrt. Zu ernst war dazu der Hintergrund um Täuschung und Betrug. Molière war mit »Tartuffe« seiner Zeit voraus: Während man heute zumindest an einigen Stellen schmunzeln oder lachen kann, fanden König Ludwig XIV. und seine Gefolgschaft das mit Bibelzitaten gespickte Schauspiel wohl weniger lustig, und so wurde es kurz nach der Uraufführung am 12. Mai 1664 verboten.
Der Inhalt ist schnell erzählt: Tartuffe (Pleva) nistet sich im Haus des wohlhabenden Pariser Bürgers Orgon (Peter Schmidt-Pavloff) ein, der dem angeblich großherzigen Mann - genau wie seine Mutter (Heidemarie Wenzel) - nicht nur blind vertraut, sondern blind wird vor Vertrauen und ihm sogar seine Tochter Marianne (Jessica Higgings) zur Frau geben will, obwohl die eigentlich dem Schauspieler Valère (Florian Tabor) versprochen ist. Nichts will Orgon hören, was gegen Tartuffe spricht - ob es nun von seiner Frau Elmire (Jana Rudwill), von Schwager Cléante (Rafael Hilpert) oder Zofe Dorine (Marlise Fischer) vorgebracht wird. Sohn Damis (Markus Mössmer) wird sogar aus dem Haus gejagt, als er seinem Vater berichtet, Tartuffe habe sich Stiefmutter Elmire unsittlich genähert. Am Ende klärt sich natürlich alles, Tartuffe wird verhaftet, Orgon und seine Familie bekommen das zuvor an Tartuffe überschriebene Haus zurück. In einem Staat, der keine Falschheit duldet, würden Heuchler und Betrüger eben ertappt und ihrer gerechten Strafe zugeführt, bemerkt Cléante am Schluss - die Moral wurde von Molière also nicht vergessen, kam aber, zumindest für Verhältnisse des 17. Jahrhunderts, vermutlich etwas spät.
Apropos spät: Erst nach 45 Minuten tritt Jörg Pleva auf die Bühne. In dieser Dreiviertelstunde soll ein Spannungsbogen aufgebaut werden, so dass der Zuschauer bereits alles über Tartuffe weiß, bevor dieser - in schneeweißem Anzug und mit pechschwarzer Seele - überhaupt erstmals in Erscheinung tritt. Da das Stück aber vor allem durch Pleva und sein herrliches Mienenspiel an Fahrt gewinnt, zieht sich der erste Teil doch ein wenig in die Länge - auch wenn es durchaus komisch ist, wie Marianne erklärt, sich umbringen zu wollen, und die dünne Schnur einer Jalousette in Erwägung zieht, um sich aufzuhängen, oder wie Orgon, der im Stile eines Gurus, mit langem Kleid und Sandalen, auf der Bühne sitzt und meditiert. Auch Tartuffe betet viel, allerdings wohl mehr dafür, dass Orgon nicht merkt, welches Spiel mit ihm getrieben wird, als für sein eigenes Seelenheil.
Der heimliche Star neben der Titelfigur ist nicht etwa Plevas Lebensgefährtin Jana Rudwill, sondern Marlise Fischer als couragierte Zofe Dorine. Vor allem im ersten Teil zieht sie die Fäden, vermittelt, versucht, Augen zu öffnen und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Mariannes Hochzeit vor Augen, spricht Dorine davon, dass die Braut ein Leben lang »tartuffiziert« werde - und das trifft nach der insgesamt gelungenen Inszenierung wohl auch auf so manchen Zuschauer zu.

Artikel vom 25.10.2005