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Schröders Abschied: »Mein
New York heißt Hannover«

Scheidender Bundeskanzler mit sich und den Sozialdemokraten im Reinen

Berlin (dpa/Reuters). Gerhard Schröder zieht sich zurück und nimmt endgültig Abschied vom Kanzleramt. Sieben Jahre bestimmte er als Regierungschef einer rot-grünen Koalition die Geschicke Deutschlands - eine Ära geht zu Ende.
Der Abschied aus dem Kanzleramt steht bevor: Mit seiner Frau Doris (Foto) und den beiden Kindern wird Gerhard Schröder voraussichtlich eine längere Familienpause in seinem Reihenendhaus in Hannover nehmen.

Lange hat Gerhard Schröder darum gekämpft, Bundeskanzler zu bleiben, zuletzt in aussichtslos scheinender Lage mit dem Ziel, für die SPD das Maximum in einer großen Koalition herauszuholen. Als er dieses Ziel erreicht sah, zog er gestern einen klaren Strich mit der Absage an jedes andere Regierungsamt.
Der Rückzug ist der wohl bisher tiefste Einschnitt einer 40 Jahre langen, von dauerndem Kampf geprägten politischen Karriere. Als sein Rücktritt Anfang der Woche besiegelt wurde, mied Schröder die Öffentlichkeit. Als er von Parteifreunden gedrängt wurde, Vizekanzler zu werden, ließ er an die Öffentlichkeit dringen, sein Lebensweg sehe anders aus. In Reden am Dienstag und gestern schließlich stellte er dann für alle hörbar klar: »Ich werde der nächsten Bundesregierung nicht angehören - definitiv nicht angehören.« Damit bremste er all jene aus, die gehofft hatten, Schröder werde mit einer Rückkehr als Vizekanzler alle überraschen.
Für solche unerwarteten Entscheidungen war Schröder vor allem in den letzten Monaten immer wieder gut. So überraschte er mit der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen im Mai inmitten des Umfragetiefs der SPD. Viele in der eigenen Partei nahmen ihm das als egoistische Flucht aus der von ihm verschuldeten Krise übel.
Dann begeisterte er die Kritiker in den eigenen Reihen durch einen engagierten Wahlkampf. Als die SPD am Wahlabend fast zehn Prozentpunkte mehr erreichte als im Tief der Umfragen im Frühjahr, lag sie ihm zu Füßen. Auch nach der Wahl, aus der die Union mit mehr Mandaten hervorging und eisern an ihrem Führungsanspruch festhielt, wich Schröder nicht kampflos. Doch im Rückblick begann schon mit seinem Verhalten direkt nach der Wahl der Rückzug.
Mit der Festlegung, die SPD werde nur über eine Koalition unter seiner Kanzlerschaft verhandeln, engte er den Spielraum der SPD ein. Seither drangen die Zweifel an dieser Position nach außen. Sein Anspruch auf das Kanzleramt wurde schrittweise von Bedingung zum Ziel und schließlich vom Ziel zur Sache der Verhandlungen mit der Union herabgestuft.
Eine direkte Linie scheint vom Neuwahl-Plan Ende Mai zum verkündeten Rückzug zu führen. Die Phasen dazwischen - Schröders Kampf um Wählerstimmen gegen die wahrscheinliche Niederlage und sein Poker um die Führung der neuen Regierung - passen in die politische Karriere Schröders.
Was für den Juso-Chef, der Schröder 1978 wurde, Ehrensache ist, zog sich auch durch seine spätere Tätigkeit, vor allem, als er in den 80er Jahren Ambitionen in der Bundespolitik verfolgte. Der frühere SPD-Chef Rudolf Scharping feuerte ihn als Wirtschaftssprecher, die Rivalität mit Oskar Lafontaine setzt sich bis in den Kampf gegen die Linkspartei fort.
Schröders Kämpfe gingen auch weiter, nachdem er 1998 Kanzler geworden war. Die Euphorie über den Wahlsieg wich bald den Mühen des Regierungsalltags. Handwerkliche Pannen am Beginn der ersten Regierungszeit, Richtungsstreit in der SPD, Negativrekorde bei der Arbeitslosigkeit, Drehen an politischen Stellschrauben ohne Visionen zwangen Schröder zu immer neuen Versuchen, sich aus der Defensive heraus zu kämpfen.
Seine Reform-»Agenda 2010« stürzte ihn und die SPD in ihren tiefsten Konflikt. Wahlniederlagen, Austritte, Rücktrittsdrohungen, der Rückzug vom SPD-Vorsitz und der Coup der vorzeitigen Neuwahl prägten seine zweite Amtszeit. Wenn diese Flucht nach vorne in eine dritte Amtszeit münden sollte, hat Schröder diesen Kampf verloren. Wenn er zeigen wollte, dass er nicht kampflos abtreten würde, hat er dieses Ziel erreicht.
Ein politischer Ruheständler wird Schröder wohl nicht. Die Spekulationen schossen ins Kraut. »Mein New York heißt Hannover« - so hat Schröder allen Gerüchten widersprochen, er wolle nach dem Ende seiner Regierungszeit in den USA noch einmal in der Wirtschaft tüchtig Kasse machen. Wahrscheinlicher ist, dass der 61-Jährige erst einmal eine längere Familienpause im Reihenendhaus im hannoverschen Zoo-Viertel mit Ehefrau Doris und den beiden Töchtern einlegen wird.

Artikel vom 13.10.2005