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Merkel und Westerwelle: große Koalition wahrscheinlich

Müntefering: Schröder verzichtet nicht - »Jamaika« noch nicht vom Tisch

Berlin/München (dpa/Reuters). Trotz der weiteren Annäherung von Union und SPD versucht Kanzlerkandidatin Angela Merkel im Koalitionspoker die »Jamaika«-Karte im Spiel zu halten. Im Anschluss an ein Treffen mit der FDP-Spitze sagte Merkel gestern zwar, dass eine große Koalition »eine sehr viel höhere Wahrscheinlichkeit« habe als ein »Jamaika-Bündnis« mit Grünen und Freidemokraten.Angela Merkel hält zwar eine große Koaliton für sehr viel wahrscheinlicher als ein »Jamaika«-Koalition, will diese Option aber noch nicht abschreiben. In München hat das Gerangel um die Stoiber-Nachfolge begonnen.

Sie schränkte jedoch ein, da es aber derzeit noch keine echten Koalitionsverhandlungen mit der SPD gebe, seien »die verschiedenen Optionen noch im Raum«. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement betonte für die SPD-Seite im Hinblick auf eine große Koalition: »Wir sind dabei, uns aufeinander zuzubewegen.«
Merkel erinnerte an die Absprache mit den Grünen aus der vergangenen Woche, wonach sie »im Lichte« der Gespräche mit der SPD noch einmal auf die Partei zugehen könne. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle geht inzwischen davon aus, dass die Gespräche Union/SPD auf eine große Koalition hinauslaufen. Allerdings wolle die FDP als Möglichkeit eine so genannte Jamaika-Koalition nicht ganz ausschließen. »Im Augenblick ist die Tür noch einen Spalt offen.«
Merkel und Stoiber hatten die FDP-Spitze zuvor über ihre Sondierungsgespräche mit Grünen und SPD aus den vergangenen Tagen unterrichtet. Die Grünen hatten sich vor einer Woche geweigert, die Unterredungen mit der Union vorläufig fortzusetzen. Beim Gespräch mit den Sozialdemokraten hatte es am Mittwoch hingegen erste Fortschritte gegeben, obwohl beide Seiten in der Kanzlerfrage hart blieben.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt berichtete gleichwohl von »sehr vielen Begegnungen« zwischen FDP- und Grünen-Politikern. Westerwelle erläuterte aber, dass es sich um »einfache personelle« Kontakte handele.
In Union und FDP wird derweil mit Spannung auf die erste Sitzung der SPD-Präsidiums im Anschluss an die Nachwahl in Dresden am kommenden Montag geschaut. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos rechnet mit einem Verzicht von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf eine weitere Amtszeit. Er nehme an, »dass von Seiten der SPD am Montag die nötige Klarheit kommt«, sagte Glos. »Die nötige Klarheit kann nur lauten: Bundeskanzler Gerhard Schröder verzichtet auf sein Amt.«
Die Sozialdemokraten pochen weiter auf die Führungsrolle von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in einer großen Koalition. SPD-Chef Franz Müntefering wie auch ein Regierungssprecher wiesen Spekulationen über einen vorzeitigen Amtsverzicht Schröders scharf zurück. Müntefering: »Es gilt unsere Forderung: Wir wollen regieren mit Gerhard Schröder als Kanzler.«
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte ein Mitspracherecht der SPD bei der Kanzlerwahl ab. »Das ist doch alles dummes Zeug«, sagte Schäuble gestern zu einem entsprechenden Vorschlag des früheren Verteidigungsministers Volker Rühe. Dass Merkel Kanzlerin werden solle, darüber gebe es »keine Diskussion«.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU), zeigte sich trotz der Fortschritte auf dem Weg zu einer großen Koalition skeptisch. Bevor die SPD nicht die Regel anerkenne, dass die Union als stärkste Kraft den Kanzler stellen müsse, »kann man nur skeptisch sein, was die Fähigkeit angeht, Sachprobleme zu lösen«.
Früher als von der CSU-Spitze geplant hat das Tauziehen zwischen Bayerns Staatskanzleichef Erwin Huber und Innenminister Günther Beckstein um das Amt des Ministerpräsidenten begonnen. Huber meldete überraschend seine Kandidatur für die Nachfolge von Edmund Stoiber (CSU) an, der im Fall einer großen Koalition nach Berlin gehen wird.
Der in den vergangenen Tagen als Favorit gehandelte Beckstein äußerte sich »als Betroffener« zurückhaltend. Stoiber erklärte beide zu »hervorragenden Kandidaten«. Er will ein Gespräch mit Huber und Beckstein führen. Mehrere Abgeordnete in der CSU-Landtagsfraktion erwarten einen mehrwöchigen Machtkampf. Das wollen führende CSU-Politiker jedoch um jeden Preis vermeiden.
Katrin Göring-Eckardt will nach ihrer Abwahl als Grünen-Fraktionsvorsitzende Vizepräsidentin des Bundestags werden. In der Fraktion galt es als wahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Abgeordneten hinter ihr steht.

Artikel vom 30.09.2005