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Das Magazin »Focus« zu der Forderung der Ex-Justizministerin Marion Boyd, die Scharia als Rechtsgrundlage zuzulassen

»Gilt Allahs Gesetz bald in Kanada?«

Leitartikel
Türkei/EU: Start 3. Oktober

Leisetritt
der
falschen Art


Von Rolf Dressler
Der Deutsche im Besonderen gilt vielen nicht zu Unrecht als klassischer Bedenkenträger. Zudem steht er in dem Ruf, sich gern auch den Kopf anderer Leute zu zerbrechen.
Da schmunzelt mancher über einen Zeitungskommentator, der von Gerhard Schröders »Putinisierung« spricht, womit er auf das Machtgebaren des noch amtierenden deutschen Bundeskanzlers anspielt.
Ein anderes namhaftes Blatt warnt davor, dass die angeschlagene einstige Europa-Lokomotive mit dem Kennzeichen »D« - Schreck, lass' nach - womöglich gar schon bald einer »Italienisierung« anheimfallen könnte.
Und die »Amerikanisierung« alles deutschen Werdens und Wirkens ist hiesigen Kritikern ja ohnehin eine schreckliche Vorstellung, ein dicker Dauer-Dorn im Auge.
Einen auffällig weiten Bogen aber macht aus unterschiedlichen Gründen die herrschende Politik wie auch die breite Bürgeröffentlichkeit um das existentiell wohl bedeutsamste Gegenwarts- und Zukunftsthema überhaupt: die »Islamisierung«, die aus moslemisch geprägten Herkunftsländern schleichend, aber offensiv nach Europa exportiert wird.
Also nehmen die Dinge ihren Lauf. Gestern nun gab das Europäische Parlament grünes Licht für den Start der offiziellen Verhandlungen mit der Türkei über deren Urwunsch, den Beitritt zur Europäischen Union der bislang 25 Mitgliedsstaaten. Zwar wurde - zum schönen Schein des Vorbehalts - in einer Resolution noch einmal unwirsch gegrummelt. Doch, man glaubt es nicht: Obwohl die in Ankara bestimmende Regierung Erdogan das EU-Mitgliedsland Zypern kategorisch nicht anerkennen will, stimmte die klare Mehrheit im Hohen Europa-Haus zu Straßburg mit »Ja«.
Eine wahrlich denkwürdige Entscheidung. Denn die Folgen für Europa und vor allem auch für Deutschland, das schon heute den mit Abstand größten Bevölkerungsanteil von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis beherbergt, haben eine historische, allgemeinpolitische und gesellschaftspolitische Dimension, von der nur derjenige eine konkrete Vorstellung gewinnen kann, der sich mit dem Grundwesen des Islam näher befasst. Vor allem mit dem Wahrheits-, Absolutheits- und Überlegenheitsanspruch, der sich aus der traditionell gewollten Verknüpfung von Religion und politischem Staatsverständnis speist.
Denn genau hierin läuft islamisches Denken fundamental unseren Auffassungen von einem pluralen, weltanschaulich und religiös bewusst neutral verfassten demokratischen Rechtsstaat zuwider.
Annäherung an das christlich- abendländische Werte- und Menschenbild? Bezeichnenderweise ist bis zur Stunde noch kein ein- ziger der gut drei Dutzend islamisch bestimmten Staaten der Erde klassisch demokratisch-rechtsstaatlich aufgebaut.
Die Regierung Erdogan möchte die Türkei weiter islamisieren und den Islam in Europa voranbringen - und eben deshalb der Europäischen Union beitreten.

Artikel vom 29.09.2005