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Acht Tage vor der Wahl steht
Schwarz-Gelb ohne Mehrheit da

Im ZDF-Politbarometer sackt die Union ab - SPD legt deutlich zu

Berlin (Reuters). Gut eine Woche vor der Bundestagswahl ist das Rennen um die künftige Regierungsmehrheit wieder offen. Union und FDP büßten in den letzten von ZDF und ARD vor der Wahl veröffentlichten Umfragen ihre zuvor über Monate fast durchgehend behauptete Mehrheit ein.

Im ZDF-Politbarometer vom Freitag sackte die Union um zwei Punkte auf 41 Prozent ab, ihr erklärter Wunsch-Koalitionspartner FDP bleibt wie in der Vorwoche bei sieben Prozent. Damit hätte eine schwarz-gelbe Koalition mit 48 Prozent nicht mehr die nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen für eine parlamentarische Mehrheit nötigen 48,5 Prozent. Lediglich eine große Koalition oder ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei wäre mehrheitsfähig.
Auch im ARD-Deutschlandtrend und in der jüngsten Forsa-Umfrage hatten Union und FDP nach dem Fernsehduell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel ihre Mehrheit verloren. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr äußerte Zweifel an dem lange Zeit als sicher geglaubten Sieg von Union und FDP bei der Bundestagswahl in gut einer Woche. Schröder, der in den Umfragen nach dem TV-Duell seinen Beliebtheitswert gegenüber Merkel deutlich ausbauen konnte, gab sich angesichts der Umfrageergebnisse erneut siegesgewiss.
Wie in den anderen Umfragen legte die SPD auch im Politbarometer nach dem TV-Duell weiter deutlich zu und erzielt 34 Prozent (plus zwei Punkte). Das ist das beste SPD-Ergebnis in einem Politbarometer in diesem Jahr. Die Grünen bleiben wie in der Vorwoche bei sieben Prozent. Die Linkspartei bleibt mit unverändert acht Prozent drittstärkste Partei.
Auch im Deutschlandtrend und bei Forsa hatte sich die SPD auf 34 Prozent verbessert. Nach Angaben der ARD trugen neben dem klar von Schröder gewonnenen TV-Duell auch die massiven Angriffe auf den Finanz-Fachmann in Merkels Wahlkampfteam, Paul Kirchhof, zu den Verschiebungen zu Gunsten der SPD und zu Lasten der Union bei.
Nach dem ARD-Deutschlandtrend legte die SPD bei der Frage, welcher Partei eine bessere Steuerpolitik zugetraut werde, um zwölf Punkte auf 35 Prozent zu, während die Union sieben Punkte verlor und damit nach Wochen deutlichen Vorsprungs in dieser Kompetenzfrage nur noch gleichauf mit der SPD liegt. In der Rentenpolitik zieht die SPD sogar an der Union vorbei (35:30 Prozent).
Kirchhof war von Schröder auch im TV-Duell mit Merkel massiv wegen seines Steuerkonzepts mit einem einheitlichen Steuersatz und seiner Überlegungen für einen Systemwechsel in der Rentenversicherung angegriffen worden.
In der politischen Stimmung legte die SPD nach dem TV-Duell noch deutlicher zu als in der so genannten Sonntagsfrage und liegt nach Angaben des ZDF bei 38 Prozent. Dieses Ziel hat Schröder seiner Partei für die Bundestagswahl gesteckt. Schon vor der ZDF-Umfrage gab sich der Kanzler erneut zuversichtlich, seine Ziele zu erreichen. »Wir haben den Trend auf unserer Seite, und ich bin mir sicher, dass wir am Wahltag die stärkste Partei sein werden«, sagte er.
Die Union verlor in der politischen Stimmung zwei Punkte auf nunmehr 40 Prozent. Die Forschungsgruppe Wahlen verwies darauf, dass die SPD eine Woche vor der Bundestagswahl 2002 in der Stimmung zehn Prozentpunkte vor der Union lag und bei der Wahl dann beide nahezu identische Ergebnisse erzielten.
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Böhr sagte, möglicherweise gebe es in der Gesellschaft keine klare Mehrheit für den Kurs, für den Schwarz-Gelb stehe. Seiner Einschätzung nach herrsche in der Bevölkerung ein flaues Magengefühl nach dem Motto: »Wer weiß, welche Medizin uns die Union verabreichen will?« Es werde sehr schwer, dieses Grundgefühl bis zur Wahl noch zu drehen.
Außenminister Joschka Fischer und der Wahlkampfmanager der Grünen, Fritz Kuhn, sehen angesichts der gestiegenen Umfragewerte für die Koalition eine Trendwende im Wahlkampf. »Das ist mehr als eine Aufholjagd«, rief Fischer am Freitag in Heidelberg bei einer Wahlkampfkundgebung. »Ab jetzt beginnt das Überholen.« Kuhn betonte: »Die Messe ist noch nicht gelesen.«
Ungewöhnlich scharf griff die Union Schröder an und beschuldigte ihn der »frechen und dreisten Lüge«. CDU-Generalsekretär Volker Kauder sagte am Freitag, Schröder lasse es zu, dass die Konzepte der Unionsparteien von der SPD im Wahlkampf bewusst falsch dargestellt würden. »Neun Tage vor der Entscheidung nimmt der Wahlkampf schmutzige Züge an, und dies schadet auch dem Amt des Bundeskanzlers.«

Artikel vom 10.09.2005