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Martin Kessel

»Wenn man aus dem Zoo kommt, sieht man die Menschen mit anderen Augen.«

Leitartikel
Unsitte hat Konjunktur

Weglachen, lächeln, grinsen, ärgern


Von Rolf Dressler
Die Made sitzt tief drin in »Ger- many«, der einstmals stolzen Führungslokomotive. Der Hochglanz-Lack ist ab von Deutschland. Die Wirtschaft lahmt anhaltend. Die Staatsverschuldung wächst mit jedem Tag, jeder Stunde ungebremst nur noch weiter ins irrwitzig Astronomische. Einzig die Massenarbeitslosigkeit hat seit Jahren makabre Hochkonjunktur.
Doch was fällt unseren politi- schen Amts- und Verantwortungsträgern dazu ein? Sie lachen, lachen, lachen, lachen ins Publikum. Vor allem sobald sie Fernsehkameras auf sich gerichtet sehen, laufen die Damen und Herren zu Höchstform auf, werfen die echten oder auch falschen zweiten Zähne in Positur, als hätten sie gerade schon wieder mal eine wahre Wunderleistung zum Wohle der rundum zufriedenen Bürgerschaft vollbracht. Genugtung über das famose eigene Tun und Wirken findet eben auch in der kunstfertigen Betätigung der Gebiss- und Gesichtsmuskulatur lebendigen Ausdruck.
Einer wie keiner sonst in dieser Gilde ist Gerhard Schröder. Er und seine rot-grünen Koalitionstruppen haben das ehedem grundgesunde Deutschland in den sieben rot-grünen Regierungsjahren erst richtig heruntergewirtschaftet. Trotzdem aber lächelt, grinst und schmunzelt dieser Kanzler selbst offenkundige Fehlleistungen und Versäumnisse in einer Weise beiseite, dass der Zuschauer meinen kann, er sei Zeuge einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, »made in Germany«. Davon jedoch kann, wie eigentlich jeder wissen müsste, nun wirklich nicht die Rede sein.
Aus dem Lachen kommt indes auch ein früherer Weggenosse Schröders kaum heraus: der pfundige Pfründen-Linksaußen Oskar Lafontaine. Privatjet, Riesenvilla und Politiker-Pensionen übersatt. Das bisschen Kurzzeit-Unmut beim Programm-Parteitag der PDS-Linkspartei hat der Alt-Napoleon von der Saar lässig locker weggelächelt. Schließlich weiß einer wie er doch angeblich, wo die kleinen und ganz kleinen Leute der Schuh drückt.
Nur, wen oder was nimmt der nimmersatte Lafontaine sich morgen vor? Schon hören gewöhnlich gut informierte Beobachter munkeln, er wolle nach Schröders Abgang im Handstreich womöglich gar die SPD übernehmen. Darüber zumindest dürfte weder der Kanzler noch die SPD-Spitze auch nur gequält lachen können - zumal die SPD auch nach den neuesten Meinungsumfragen, den letzten vor dem (Haupt-)Wahlgang am 18. September, noch immer beträchtliche sieben bis acht Prozentpunkte hinter den Unionsparteien zurückliegt.
Dennoch finden sich natürlich auch in Wahlk(r)ampf-Zeiten Anlässe zu schmunzeln. Am 8. Sep- tember betitelte die »Welt« ihren Bericht über den Schlagabtausch von Regierung und Opposition im Berliner Reichstag so:
»Schröder: Merkel lügt!
Merkel: Schröder lügt!«
Aber die staubtrockene »FAZ«-Schlagzeile zum selben Thema:
»Letzte ordentliche Sitzung des 15. Deutschen Bundestages«...
Weglächeln, lachen, ärgern, gähnen. Wir haben die Wahl.

Artikel vom 10.09.2005