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Mit fünf Wochen ein neues Herz bekommen

Kleinster Transplantationspatient des NRW-Herzzentrums darf nach Hause - Ärzte: »Wie ein Sechser im Lotto«

Von Christian Althoff
Bad Oeynhausen (WB). Der Junge krallt seine winzige Faust um den Zeigefinger von Dr. Ute Blanz und lächelt die Ärztin an - als wüsste er, dass er der Herzchirurgin und ihrem Team sein Leben verdankt. Muhammed war fünf Wochen alt, als ihm im NRW-Herzzentrum Bad Oeynhausen ein Spenderorgan implantiert wurde - der kleinste Transplantationspatient, der hier je versorgt worden ist.
»Die Herztöne des Babys sind in Ordnung«, sagt Oberärztin Dr. Ute Blanz.
»Zumeist sterben schwer herzkranke Babys auf der Warteliste, weil wir einfach kein Organ für sie finden«, sagt Ute Blanz, die Leiterin der Kinderherzchirurgie. Nur etwa alle fünf Jahre könne man einen so kleinen Patienten retten, nachdem irgendwo ein gleichaltriges Kind gestorben sei und die Eltern einer Organentnahme zugestimmt hätten - wie im Fall von Muhammed.
Der Junge war am 19. Mai in Dortmund zur Welt gekommen - 48 Zentimeter groß und nur 2840 Gramm schwer. »Er litt an einer tückischen Krankheit, bei der der Herzmuskel schwammartig verändert ist und das Herz nicht richtig pumpen kann«, erklärt Prof. Hans Meyer, Leiter der Kinderherzklinik. Zwei Geschwister des kleinen Jungen waren bereits an dieser erblichen, unheilbaren Erkrankung verstorben.
Der Säugling, der bereits Atemprobleme hatte, wurde nach Oeynhausen verlegt, wo die Ärzte ihm nur noch wenige Woche gaben. »Natürlich haben wir ihn sofort auf die Warteliste für Spenderherzen setzen lassen, aber unsere Erfahrung mit so kleinen Patienten lehrt uns, keine allzu großen Hoffnungen zu haben«, erinnert sich Ute Blanz. Als dann am 25. Juni trotzdem der Anruf gekommen sei, dass in einem deutschen Krankenhaus ein Spenderorgan zur Verfügung stehe, sei das wie ein Sechser im Lotto gewesen. »Ich dachte, ich werde vor Freude verrückt!«, erinnert sich Muhammeds Mutter Sevim Arisoy (37) an den Moment, als ihr Handy klingelte und sie von der Organspende erfuhr.
Dreieinhalb Stunden dauerte die Transplantation. Dr. Ute Blanz arbeitete mit einer dreifach vergrößernden Lupenbrille, denn das Spenderherz des verstorbenen Säuglings war kleiner als ein Hühnerei. Unterstützt wurde die Ärztin von zwei weiteren Chirurgen, einem Kardiotechniker, einem Anästhesisten, einer Anästhesieschwester und zwei OP-Schwestern.
»Mich überkommt jedesmal ein eigenartiges Gefühl, wenn ich einem Kind das kranke Herz entnommen habe und der leere Brustraum vor mir liegt«, erzählt Ute Blanz. »Wenn dann das neue Organ eingenäht ist und nach einiger Zeit der Durchblutung von selbst anfängt zu schlagen, ist das ein bewegender Moment für unser ganzes Team. Denn bis dahin weiß man nie, ob ein Spenderorgan so funktioniert, wie man es sich wünscht.«
Der kleine Patient hatte sich von der OP so schnell erholt, dass er schon acht Wochen nach der Transplantation entlassen werden konnte. In dieser Woche brachten ihn seine Eltern noch einmal zur Kontrolle nach Bad Oeynhausen. »Alles sieht prima aus«, sagt Herzprofessor Hans Meyer. Selbst die große Narbe entlang dem Brustbein ist kaum noch zu sehen.
Muhammed muss nun sein Leben lang Medikamente nehmen, die seine Immunabwehr herabsetzen. So soll verhindert werden, dass der Körper das fremde Herz abstößt. »Das klappt bei so jungen Patienten besser als bei Erwachsenen, weil sich das Immunsystem noch bis zum zwölften Lebensjahr ausbildet«, erklärt Prof. Meyer.
Sevim Arisoy ist den Eltern, die nach dem Tod ihres Kindes einer Organentnahme zugestimmt haben, unendlich dankbar - aber sie wird aus Gründen des Datenschutzes nie erfahren, wer diese Lebensretter gewesen sind.

Artikel vom 10.09.2005