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Wer genau hinschaut, sieht überall Schönheit

Bielefelds Architekturperlen der 20er Jahre unter der Lupe - Schau im Historischen Museum


Bielefeld (WB/mzh). Wer Bielefeld für einen architektonischen Langweiler hält, hat nicht richtig hingeschaut: Gerade wenn es um Bauten seit der Industriellen Revolution geht, gilt es am Teuto so manche Perle zu entdecken. In einer bemerkenswerten Ausstellung im Historischen Museum, die am Sonntag, 11 Uhr, eröffnet wird, lenken 20 Studenten der FH für Sozialwesen den Blick - erstmals! -Ê auf eine wichtige Periode: auf die 20er Jahre, auf »Die kristalline Zeit«.
Kristallin wie die Schneeflocke, wie der Diamant, wie mancher Quarz ist vor allem das Detail, das Dekor an den Häuserfassaden. Man muss es allerdings erkennen können - zum Beispiel an den Friesen des AOK-Gebäudes (Oelmühlenstraße) oder am »vielleicht schönsten Bielefelder Gebäude« (der Medienwissenschaftler Prof. Kurt Johnen), dem »Teppichhaus« an der Rathausstraße.
Natürlich war es den angehenden Sozialarbeitern und Sozialpädagogen auch um die Verzahnung von Architektur mit sozialer Wirklichkeit zu tun (dazu mehr im Internet unter www.wohnkultur.de.vu), aber weil ihre Schau in die Dauerausstellung des Museums integriert ist, konnten sie sich hier auf die ästhetische Komponente des Themas konzentrieren.
Zwei »Ensembles«, die Heeper Fichten und die Königsbrügge, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit - ergänzt um einen Blick auf den Grünen Winkel und den Wellensiek. Der zweite Hingucker sind außergewöhnliche Einzelbauten: »Teppichhaus«, »Kachelhaus« (Hagenbruchstraße), Haus der Technik und Oetkerhalle. Erläuternde Texte zu den Stilepochen (Historismus, Jugendstil, Expressionismus), zu den wichtigsten Architekten und den Bauten selbst erleichtern den Einstieg.
Am PC-Platz vertieft der Besucher sein Wissen - und dann darf geschaut werden: Was erkenne ich auf den Fotos, die Ausschnitte 1000mal gesehener Gebäude zeigen? Habe ich den Burgcharakter mancher Anlagen (Ziegelstraße, Königsbrügge) bislang überhaupt wahrgenommen? »Der Idee, schönes, aber bezahlbares Wohnen mit gemeinschaftlich nutzbaren Anlagen und einer leistungsfähigen Infrastruktur zu verknüpfen, sind wir bis heute treu geblieben«, sagt Michael Seibt von der Freien Scholle, einer der für Bielefelds Architektur prägenden Wohnungsbaugesellschaften.
Gebrauchsgegenstände jener Zeit aus dem Eigenbesitz des Museums - Tongut mit Spritzdekor à la Kandinsky, zur Rhombusform verschobene Zuckerdosen -Êhelfen dabei, diese stilistisch faszinierende Ära fassbar zu machen. »Die kristalline Zeit« ist bis zum 9. Oktober zu sehen.

Artikel vom 10.09.2005