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Leitartikel
»Katrina« und die Folgen

Fahrlässig,
fatal und
todbringend


Von Wolfgang Schäffer
Die Katastrophe war vorhersehbar. Viele Experten hatten seit Jahren davor gewarnt , dass New Orleans und weite Landstriche der Golfküste bei einem richtig schweren Hurrikan »absaufen« würden. Das ist jetzt passiert.
Die Auswirkungen sind noch nicht einmal im entferntesten abzuschätzen. 1000 Tote, 5000 oder gar, wie einige durchaus ernstzunehmende Stimmen meinen, mehr als 10 000 Opfer sind möglich. Die Schäden an Infrastruktur, privaten und öffentlichen Gebäuden werden von Versicherungsfachleuten auf mindestens 80 000 Milliarden Euro geschätzt - Tendenz eher nach oben.
Weshalb aber konnte »Katrina« für derartige Verwüstungen sorgen? Wissenschaftler beantworten diese Frage unmissverständlich. »Die Dämme sind seit Jahrzehnten marode.« Wolf Dombrowsky, Leiter der Katastrophen-Forschungsstelle der Kieler Universität spricht das aus, was Verantwortliche in den USA seit langem wussten ebenso wie viele Experten weltweit. Die auf etwa 30 Jahre ausgelegte Haltbarkeit der Deiche (in den Niederlanden baut man Dämme mit einem »Verfallsdatum« von bis zu 10 000 Jahren) war längst überschritten. Doch alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Statt die desolaten Schutzwälle zu stabilisieren und zu erhöhen - immerhin sinkt das auf trockengelegtem Sumpfgelände liegende New Orleans in 100 Jahren um einen Meter ab -, und damit die Städte dahinter bestmöglich gegen Bedrohung von Wind und Wasser zu wappnen, wurde die Gefahr der Naturgewalten nicht ernstgenommen oder einfach verdrängt.
Das war fahrlässig, fatal und - wie sich jetzt zeigt - todbringend. Noch weitaus schlimmer aber ist die Art und Weise, wie die Weltmacht Amerika mit diesem Unglück umgeht. Bei Elbe-Mulde-Oder-Flut, Tsunami-Katastrophe oder beim jüngsten Hochwasser in den Alpen und Bayern liefen die Aktionen schnellstens an. Politik, Hilfsorganisationen und Privatleute arbeiteten Hand in Hand, um die größte Not zu lindern und Menschenleben zu retten.
Was aber passiert an der Golfküste?! Es dauerte Tage, bis Präsident George W. Bush den Ernst der Situation erkannte und die Hilfe endlich anlief. Seine beiden Besuche in den Krisengebieten sind verzweifelte Versuche, die lautesten Kritiker zum Schweigen zu bringen. Nach wie vor sterben noch Obdachlose in Notunterkünften, weil es an Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten fehlt. Und das alles in einer Region, in der die meisten Analphabeten und die meisten Arbeitslosen der USA leben.
Da zudem größte Teil von ihnen eine schwarze Hautfarbe hat, kann es kaum verwundern, wenn die Rassen- und Klassendiskussion in Amerika mit ziemlicher Heftigkeit neu auflammt.
Einerlei wie schnell die materiellen Schäden behoben, die Deiche gestopft und neu errichtet werden - Katrina hat die Kluft der US-Gesellschaft zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß tiefer denn je aufgerissen.

Artikel vom 07.09.2005