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30 Jahre »Motörhead«
Lemmy Kilmister: ein Rock'n'Roller vom alten Schlag feiert seinen 60. Geburtstag
Herford. Die Metal-Urgesteine »Motörhead« kommen am 17. Oktober ins Herforder »X«, um zu feiern. Ihr 30-jähriges Bestehen als Band. Ein Geburtstag, der am 24. Dezember noch von einem weitaus erstaunlicheren Jahrestag getoppt wird: Dann feiert Bandboss Lemmy Kilmister seinen Sechzigsten!
Was ein erstaunliches Lebensalter sein dürfte, für einen Rock'n'Roller vom alten Schlag. Aber vom Lebenswandel verwandte Charaktere wie »Rolling Stone« Keith Richards haben diese Altershürde ja auch bereits genommen. Was nicht nur für eine starke körperliche Konstitution, sondern auch für eine gewisse Cleverness spricht, die diesen lebenden Anachronismen bei oberflächlicher Betrachtung oft gern abgesprochen wird. Ian »Lemmy« Kilmister wie auch Richards wissen beide intuitiv, was sie können, und wovon sie die Finger lassen sollten - ein Satz, der in dieser Ausschließlichkeit leider nur in Bezug auf ihre musikalischen Fähigkeiten gilt: Allzu ambitionierter Experimental-Kram ist von ihnen nicht zu erwarten, nicht mal in total vernebeltem Zustand.
Vielleicht pflegt Kilmister diese »Schuster, bleib' bei deinen Leisten«-Philosophie, weil er das Glück hatte, schon früh im Leben einen wahren Virtuosen kennenzulernen: den Gitarren-Visionär Jimi Hendrix, dessen Roadie er war.
Verkehrte Welt: Früher verloren Rockstars meist durch Drogen Gesundheit und Leben - auf die Schlachtrösser, die gegen alle Naturgesetzlichkeiten überlebt haben, lauern heute ganz andere Gefahren. So verletzte sich Keith Richards während einer Tournee, weil er angeblich in seiner Bibliothek (jaa, er kann lesen!) von der Leiter gesegelt war, und Lemmy Kilmister wurde in diesem Sommer Opfer seiner eigenen Halsstarrigkeit: Einige Festivalkonzerte fielen aus, weil der Endfünfziger zu wenig Wasser trank.
Lemmy erhöhte daraufhin die Dosis der Eiswürfel im Jack Daniels. Keine wirkliche Lösung: Dehydration, liest der Mann denn keine Gesundheitsmagazine? Eher nicht, stattdessen wird ihm nachgesagt, dass er ähnlich wie Kollege Richards gern Geschichtsbücher wälzt. So ist er zum Beispiel mit der Hitler-Biografie von Joachim Fest wohlvertraut. Wie viele seiner britischen Landsleute sammelt er auch Nazi-Memorabilia, woraus man dennoch nicht den Schluss ziehen sollte, dass er etwas mit der Ideologie der Nationalsozialisten am Hut hat. Doch die Faszination für Kriegsgeschehen, Zerstörung und Aggression zieht sich genauso gradlinig durchs »Motörhead«-Werk wie die Klangspuren von Lemmys zumeist heillos übersteuertem Bass. Wer seine Alben »Bomber«, »1916« (ein Kriegsjahr) oder »Inferno« benennt, ist sicher kein Vertreter sich zu allen Seiten absichernder Chorknaben-Metaphorik.
Im Spätherbst seiner Karriere kann der sich brummbärig gebende Exzentriker speziell auch in Deutschland die kommerziellen Früchte seiner Beharrlichkeit einfahren: Die Doppel-DVD »Stage Fright« (SPV) verkauft sich bestens. Auf dem ersten Teil wird ein Konzert aus Düsseldorf dokumentiert, auf der zweiten DVD gibt's Einblicke ins (Tour-)Leben von Lemmy, Gitarrist Phil Campbell und Schlagzeuger Mikkey Dee.
Wer dem Bühnen-Veteranen jemals gegenüber gesessen hat, dem fallen nicht nur die Riesenwarzen im Gesicht auf, sondern sein Gespür für einfache, starke sprachliche Bilder -Êund die Tatsache, dass er sich für sein Alter recht passabel gehalten hat: ein weitgehend rostfreier Metaller.
Klaus Gosmann

Artikel vom 16.09.2005