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»Supervirus« eine
unbekannte Größe

Dr. Peter Schmid ist Impfarzt im Gesundheitsamt Bielefeld.

Grippe -ÊFIT im Gespräch mit Dr. Peter Schmid

Von Andreas Schnadwinkel
Bielefeld (WB). Das Horrorszenario ist klar: Das Vogelgrippe-Virus infiziert einen Menschen, der auch das Influenza-Virus in sich trägt. Beide Viren reagieren und mutieren zum »Supervirus«. Als wäre es Stoff für einen Hollywood-Schocker, spielen viele Medien das ernste Thema zu einer Hysterie hoch.

Wer sich jetzt vorbeugend gegen die Influenza-Grippe impfen lässt, kann sich nicht vor der Vogelgrippe schützen. Aber man verhindert, dass sich das Vogelgrippe-Virus mit dem Influenza-Erreger verbinden kann.
FIT hat mit Dr. Peter Schmid vom Gesundheitsamt Bielefeld gesprochen.
Bemerken Sie eine verstärkte Nachfrage nach Grippeimpfungen?
Dr. Schmid: In den vergangenen zehn Tagen habe ich nur eine Person gegen Influenza A geimpft. Die Fragen, die mir im Zusammenhang mit der Vogelgrippe gestellt werden, gehen in eine andere Richtung: Kann ich noch Geflügel essen? Soll ich meine China-Reise absagen? Daran erkennt man, was die zum Teil hysterische Berichterstattung bewirken kann. Jüngst war ein Rückkehrer von Baikalsee bei mir, der dort im vermeintlichen Vogelgrippe-Gebiet nichts von dem Thema mitbekommen hat und hier in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch als tot gilt.
Kann man sich bei Ihnen im Gesundheitsamt vorbeugend gegen Influenza impfen lassen?
Dr. Schmid: In meiner reisemedizinischen Sprechstunde können sich Bürger von mir impfen lassen. Dabei handelt es sich aber nicht um ein öffentliches, kostenfreies Impfen. Der Impfstoff kostet etwa 15 Euro, die Impfgebühr beträgt 10,70 Euro. Die vorherige Anmeldung ist wichtig.
Wie beurteilen Sie als Mediziner die derzeitige Berichterstattung über die Vogelgrippe?
Dr. Schmid: Wenn man bedenkt, dass wir vor gar nicht allzu langer Zeit Fälle von Vogelgrippe bei Geflügel in Viersen hatten, scheint die aktuelle Diskussion einerseits verständlich, insgesamt aber doch übertrieben und angeheizt. Aber die Bedrohung durch die Grippe ist ernst zu nehmen, da wir aus der Geschichte wissen, dass es zu Pandemien kommen kann.
Könnte man sagen, dass zur Zeit die »normale« Influenza-Grippe für die Menschen in Europa gefährlicher ist als die Vogelgrippe?
Dr. Schmid: Vielleicht wegen der geografischen Entfernung. Aber die Letalität, also die Sterblichkeitsrate, liegt bei der Vogelgrippe bei 80 Prozent und bei der Influenza bei weniger als fünf Prozent. Insofern ist die Vogelgrippe für den Menschen viel gefährlicher, für das Geflügel ebenso.
Die politischen Entscheider werden gedrängt, den Bestand an antiviralen Medikamenten zu erhöhen. Was halten Sie davon?
Dr. Schmid: Von der Hysterie profitieren vor allem die Pharma-Unternehmen, deren Produkte im Zusammenhang mit der Vogelgrippe genannt werden. Ich kenne Studien aus Vietnam, dem Land mit den meisten Vogelgrippe-Opfern, die klar besagen, dass die infizierten Menschen trotz der Gabe antiviraler Medikamente genauso häufig gestorben sind wie unbehandelte Kranke. Man meint, man hätte etwas getan. Doch das ist keine Methode, die das Böse verhindert.
Das Vogelgrippe-Virus ist ebenso bekannt wie der Influenza-Erreger. Warum kann man mit diesem Wissen keinen Impfstoff gegen das »Supervirus« herstellen?
Dr. Schmid: Wenn ein Mensch, der vom Vogelgrippe-Virus befallen wird, auch das Influenza-Virus in sich trägt, dann könnte sich aus beiden Viren ein »Supervirus« bilden. Biochemisch wäre dieses »Supervirus« eine unbekannte Größe, denn es würde wahrscheinlich mutieren. Man müsste das Virus kennen, bevor man ein Gegenmittel produzieren könnte. Alles andere ist bloßes Wunschdenken und reine Spekulation. Niemand weiß, ob dieses Supervirus entstehen wird oder nicht.

Artikel vom 02.09.2005