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Jugend ist die »Trickserei« leid

Erstwähler lassen sich in Kinos und Diskotheken für Politik begeistern

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Schröder ist nicht Benedikt: Während der Papst in Köln die Jugend anzog, verschrecken die Parteien in Berlin Deutschlands Nachwuchs. »Die Trickserei in der Politik stößt viele Jugendliche ab«, sagte die Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung NRW, Maria Springenberg-Eich, gestern dieser Zeitung.

Jugend habe ein »ambivalentes Verhältnis zur Demokratie«, betonte die Forscherin und erklärte: »Werte wie Freiheit werden für selbstverständlich gehalten, aber gleichzeitig sinkt die Beteiligung an politischen Prozessen.« Bei der Landtagswahl 2000 hätten nur 40,2 Prozent der Erstwähler die Kabinen aufgesucht. »Deshalb müssen wir den Fokus auf die Jugend legen, damit der Demokratie nicht der Nachwuchs ausgeht«, analysiert Springenberg-Eich.
In Nordrhein-Westfalen dürfen Jugendliche bereits mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen. Wenn es um Bundestags- und Landtagswahlen geht, müssen sie zwei Jahre älter sein, um mitbestimmen zu können.
Vor der Landtagswahl am 22. Mai startete die Landeszentrale für politische Bildung die Kampagne »Demokratie im Kino«. Zwischen dem 13. April und 18. Mai diskutierten Medienpädagogen in 20 Städten mit Schülern darüber, was Demokratie ist und warum sie vom Mitmachen lebt. Dort, wo sonst Actionfilme über die Leinwand flimmerten, wurde der leise Film »Balzac und die kleine chinesische Schneiderin« gezeigt. Darin wird der Versuch geschildert, inmitten einer kommunistischen Diktatur Prinzipien wie Toleranz, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit zu leben. Das flammende Plädoyer für Demokratie sollte den Schülern deutlich machen, dass Freiheit nicht vom Himmel fällt, sondern erkämpft und gepflegt werden muss. »Wir müssen Jugendliche davon überzeugen, dass sie sich um die Demokratie sorgen müssen«, sagte Springenberg-Eich. Außerdem stellten Medienpädagogen im Rahmen der Kampagne das Internet-Programm »Wahl-O-Mat NRW« vor - mit Informationen zu Parteien, Programmen und dem Wahlprocedere.
Um bei Jugendlichen Interesse an Politik zu wecken, sei es sinnvoll, »ungewöhnliche Lernorte« wie Kinos und Diskotheken zu wählen, betonte Springenberg-Eich gestern: »Deshalb haben wir die Popcorn-Meile zum Standort der politischen Bildung gemacht.« Die Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung zog eine positive Bilanz: 5100 Jung- und Erstwähler hätten an der Veranstaltungsreihe teilgenommen. Das Konzept habe sich bewährt und werde weiterentwickelt. Im Vorfeld des Urnengangs am 18. September bietet die Landeszentrale den Schulen für die Sekundarstufe II. die Broschüre »Bundestagsratgeber« mit Tipps für den Unterricht an. Institutionenkunde komme im Unterricht zu kurz, beklagt Springenberg-Eich. Weil das Interesse an Politik um so ausgeprägter ausfalle, je höher das Bildungsniveau sei, müsse verstärkt in den Hauptschulen angesetzt werden.
Was erwarten Erstwähler von den Parteien? »Politik muss nachvollziehbar sein, und Jugendliche legen großen Wert auf Werte wie Menschlichkeit«, antwortet Springenberg-Eich. Weil Papst Benedikt XVI. konsequent Werte verkünde und vorlebe, genieße er, aller Kritik zum Trotz, Glaubwürdigkeit, die der Politik abgehe.
In einer Zeit, in der die Themen Arbeitslosigkeit und Sozialversicherung alles überstrahlen, hat es der Nachwuchs in den Parteien selbst schwer, den Anliegen der Jugendlichen Gehör zu verschaffen. Das gab der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, bei einer Tagung in Paderborn zu. Bildung und nicht Arbeitslosigkeit sei das Thema, das Heranwachsenden am meisten unter den Nägeln brenne. Die Junge Union hat in Ostwestfalen-Lippe 3973 Mitglieder, die FDP-Nachwuchsorganisation Julis verzeichnet knapp 400, die Grüne Jugend 238 Mitstreiter. Zur Mitgliederzahl der Jusos in OWL machte die SPD gestern keine Angaben.

Artikel vom 25.08.2005