22.08.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Jetzt hoffen auch die
deutschen Vioxx-Opfer

US-Pharmakonzern Merck & Co verurteilt - Berufung

Berlin (dpa). Nach dem ersten Urteil gegen den US-Pharmakonzern Merck & Co. hoffen auch in Deutschland mögliche Opfer des Arthritis- und Schmerzmedikamentes Vioxx oder deren Hinterbliebene auf eine Entschädigung.

»Das Urteil hat auch für alle deutschen Vioxx-Patienten Signalwirkung«, sagte der Berliner Rechtsanwalt Andreas Schulz. Allein Schulz hat bereits 772 Fälle zur Klage vorbereitet. Die ersten Klagen von Deutschen in den USA sollen kommende Woche eingereicht werden.
Mit der deutschen Merck KGaA in Darmstadt ist Merck & Co. nicht verbunden; die Namensgleichheit hat historische Gründe.
Im ersten Vioxx-Prozess war Merck & Co. zu einer Gesamtstrafe von 253,4 Millionen Dollar (209 Millionen Euro) verurteilt worden. Die Gerichts-Jury in Angleton (Bundesstaat Texas) gab dem Konzern die Mitschuld am Tod eines 59-jährigen Texaners, der 2001 nach achtmonatiger Einnahme des Medikamentes gestorben war. Merck soll Ärzte und Patienten nicht ausreichend über die Gefahren des Medikaments aufgeklärt haben.
Der US-Konzern kündigte gegen das Urteil sofort Berufung an. Klägerin war Carol Ernst, die Witwe des verstorbenen Marathonläufers Robert Ernst.
Die aus zwölf Mitgliedern bestehende Jury entschied mit zehn zu zwei Stimmen. Die Geschworenen gestanden der Klägerin 24,5 Millionen Dollar für Verdienstausfälle ihres Mannes sowie »geistigen Qualen« zu. Die Jury gewährte aber zusätzlich 229 Millionen Dollar so genannte »Strafentschädigung«. Dies ist eine Eigenart des amerikanischen Rechts. Dabei kann eine Jury Klägern ein Vielfaches der tatsächlichen Schadenssumme zugestehen, um zukünftiges Fehlverhalten der Beklagten zu unterbinden. Texas hat aber eine Obergrenze des Zweifachen der eigentlichen Schadenssumme für Strafentschädigungen, so dass die Strafe gegen Merck drastisch reduziert werden dürfte.
Die Wall Street reagierte auf die gerichtliche Merck-Niederlage mit einem drastischen Kurs-Einbruch der Merck-Aktien um 7,7 Prozent auf 28,06 Dollar. Damit ist der Gesamtwert der Merck-Aktien innerhalb eines Tages um 5,2 Milliarden Dollar gefallen. Die Merck-Aktien hatten im August vergangenen Jahres noch mit 47 Dollar notiert. Merck hatte das Bestseller-Medikament im September 2004 vom Markt genommen, weil in einer Studie nach mehr als 18-monatiger Einnahme erhöhte Herzattacken- und Schlaganfallgefahren festgestellt worden waren.
Vioxx brachte Merck jährliche Umsätze von 2,5 Milliarden Dollar. Im ersten Halbjahr 2005 war der Merck-Umsatz um sieben Prozent auf 10,8 Milliarden Dollar gefallen. Dabei hatte der Vioxx-Rückzug allein einen Umsatzrückgang von zwölf Prozent verursacht.
Auf die Entscheidung hatten auch viele mögliche Vioxx-Opfer in Deutschland gewartet. Zu den insgesamt 772 Fällen, die Patientenanwalt Schulz vertritt, gehören auch 81 Fälle, bei denen Vioxx-Patienten an Herzinfarkten oder Schlaganfällen gestorben sind. Durch die Entscheidung in Angleton seien die Chancen gestiegen, dass sich Merck & Co. auf eine außergerichtliche Einigung mit den Patienten einlasse.
Auch die deutschen Krankenkassen sind längst auf den Vioxx- Skandal aufmerksam geworden. Möglicherweise entstanden ihnen durch Vioxx-Folgeschäden Behandlungskosten in Millionenhöhe.
Nach Informationen des Internet-Magazins »Spiegel Online« ergaben interne Studien, dass die Folgekosten pro Vioxx-Fall durchschnittlich 100 000 Euro betragen. Deshalb erwäge mindestens einer der großen deutschen Versicherer, sich den Klagen seiner Kunden anzuschließen.

Artikel vom 22.08.2005