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MeinPilgertagebuch

Anna Herbst (19) aus Fürstenberg (Kreis Paderborn) berichtet vom Weltjugendtag in Köln.

Langsam, aber sicher nähern wir uns dem Höhepunkt des Weltjugendtages: dem Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld. Doch der Weg dorthin ist weit. Gegen elf Uhr am Samstag brechen wir etwas wehmütig in Berkum auf. Es geht per Bulli nach Bad Godesberg, dann per Zug nach Bonn und schließlich per Shuttle-Bahn nach Horrem. Ich weiß nicht, wie viele Einwohner Horrem hat, aber auch, wenn es mehr sind, als ich vermute, bin ich mir sicher, dass Horrem so einen Menschenansturm noch nicht erlebt hat.
Eine Landkarte brauchen wir für den folgenden Fußmarsch nicht. Denn Hunderte, ach Tausende andere Pilger gehen den selben Weg. Kurz vor unserem Ziel legen wir noch einmal eine Pause ein. Tatjanas Mama teilt uns besorgt per Handy mit, dass das Marienfeld bereits voll sei. Doch Tatjana lässt sich nicht beunruhigen: »Ach Mama, das sieht im Fernsehen nur so aus, dort ist man ja auch immer doppelt so dick wie in Wirklichkeit.«
Aber so ganz unrecht hatte die Mutter meiner Mitpilgerin doch nicht. Auf dem riesigen Feld angekommen, müssen wir zu Block B 16. Doch der ist völlig überfüllt. Wie wir von einem Sicherheitsmann erfahren, haben sich hier 2000 Spanier unerlaubt breit gemacht. Sofort wird beschlossen, von nun an nie wieder beim Spanier essen zu gehen.
Nach einigem Suchen finden wir doch noch ein schönes Plätzchen. Diesmal auf E 12. Prompt werden wir für unsere Strapazen entschädigt, denn mit einem Mal verschwinden alle Wolken, und unter strahlend blauem Himmel erhalten wir unsere Lunchpakete, die totale Begeisterung hervorrufen: »Guck mal, ich habe einen Erdbeer-Joghurt« und »Ich habe eine Ferdi-Fuchs-Fleischwurst« tönt es von allen Seiten.
Da wir von unseren Plätzen aus gute Sicht auf eine der zahlreichen Großbildleinwände haben, könne wir ganz genau beobachten, was vorne unter der künstlichen »Wolke« passiert. Doch erst als die Kamera über das Marienfeld schwenkt, wird mir klar, wie wahnsinnig viele Menschen hier sind. Trotzdem ist die Atmosphäre erstaunlich friedlich und harmonisch.
Und in zwei Stunden kommt auch schon der Papst zur Vigil-Feier. Natürlich werde ich dann nicht so eine gute Sicht auf das Kirchenoberhaupt haben wie noch am Freitag, doch ich freue mich trotzdem darauf.
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Haben Sie schon einmal in einem Gefrierschrank übernachtet? Nein? Okay, ich auch nicht. Aber als ich Sonntag morgen aufgewacht bin, habe ich gedacht, ich hätte genau das getan. Denn während der vergangenen Nacht unter freiem Himmel auf dem Marienfeld war es so kalt, dass ich kaum ein Auge zugetan habe. Aber wir sind ja nicht zum Schlafen, sondern zum Wachen und Beten hier. So hat es uns zumindest der Papst bei der Vigil-Feier mit auf den Weg gegeben. Doch auch das war nicht so einfach, denn obwohl es keinen Tropfen geregnet hat, waren alle unsere Sachen total durchnässt - vom Tau.
Nach dem ich heute Morgen dann eine halbe Stunde für eine heiße Tasse Tee angestanden habe, wurde mir auch wieder etwas wärmer. Doch das Zähneputzen fiel trotzdem aus, denn die Dixie-Klos stanken so sehr, dass ich mich nicht in die Nähe der blauen Ungetüme getraut habe. Aber dass diese Nacht nicht besonders komfortabel werden würde, wusste ich ja auch eigentlich vorher schon. Doch darum ging es ja auch gar nicht. Nein, es ging darum, zusammen mit einer halben Million Jugendlichen den Glauben an Gott auf lebendige Weise zu erleben. Und das ging in dieser Nacht und auch bei dem Abschlussgottesdienst mit dem Papst ganz wunderbar.
Während ein drei Stunden langer Gottesdienst im Alltag extreme Ermüdungserscheinungen mit sich bringt, ging dieser Gottesdienst wahnsinnig schnell vorbei. Was danach kam, zog sich hingegen ewig in die Länge: die Abreise.
Nachdem wir bereits zwei Stunden gebraucht haben, um das Marienfeld zu verlassen, sitzen wir jetzt schon drei Stunden an einer Haltestelle vor dem Marienfeld und warten auf einen Shuttle-Bus. Etwas entmutigend kommen da die Nachrichten über das völlig zusammengebrochene Verkehrsnetz hinzu.
Unsere einzige Hoffnung: Die gesamt Heimreise dauert so lange, dass wir Montag früh nicht pünktlich zum ersten Schultag wieder da sind.

Tschüss, vielleicht bis zum nächsten Weltjugendtag,
sagt Eure

Artikel vom 22.08.2005