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Das Auto der »Schnullerfee«

Marianne Marxcord findet seit zehn Jahren Schnuller und hebt sie auf

Von Matthias Kleemann
Text und Fotos
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Manchmal fragt Marianne Marxcord (54) sich, ob sie die Schnullerfee ist. Die Schnullerfee holt sich nämlich den letzten Schnuller, bevor ein Kind keinen mehr braucht.

Einmal hat eine Mutter in der Buchhandlung Strathmann nach einem Buch über die Schnullerfee gefragt, und Marianne Marxcord hatte ihren Wagen direkt neben dem Schaufenster des Geschäftes geparkt. »Schauen sie doch mal aus dem Schaufenster«, hat sie dann zur Verkäuferin und zur Kundin gesagt. Der Blick der beiden fiel direkt auf das Armaturenbrett ihres Wagens, dort, wo insgesamt 48 Schnuller liegen.
Der petrol-grüne Corsa, Baujahr 1998, ist im ganzen Ort bekannt. »Da steht Mariannes Auto«, sagen die Kinder aus dem Kindergarten St. Elisabeth. Dort arbeitet Marianne Marxcord nämlich als Erzieherin. Und obwohl der Wagen - nomen est omen - das Kennzeichen KG wie Kindergarten hat, ist es nicht das Nummernschild, sondern das Armaturenbrett mit den Schnullern, woran die Kinder den Wagen erkennen.
»Ich sammle die Schnuller nicht, ich finde sie«, sagt Marianne Marxcord. »Oder besser: Die Schnuller finden mich, sie fliegen mir zu.« Bemerkenswert findet sie es, dass viele Erwachsene sagen: »Ich habe noch nie einen Schnuller gefunden.« Sie dagegen findet regelmäßig welche. Vielleicht ist sie wirklich die Schnullerfee.
»Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Kinder mich faszinieren. Kinder sind die Flügel der Erwachsenen. Ich wollte schon immer Hebamme oder Kinderkrankenschwester werden.« Dann lernt Marianne Marxcord aber doch den Beruf der Industriekauffrau. Über den Sport findet sie später den Seiteneinstieg in das Erziehungsfach.
Angefangen hat alles mit einem Schnuller, der auf dem Platz vor der Sporthalle in Liemke lag. Das war im Jahr 1995 oder 1996. Damals hat Marianne Marxcord das Eltern-Kind-Turnen und das Kinderturnen für den FC Stukenbrock in Liemke betreut. Sie hat den Schnuller aufgehoben und zur nächsten Turnstunde mitgebracht. Aber niemand wollte den Schnuller verloren haben. »Keiner hat sich gefreut. Da habe ich ihn behalten und am Innenspiegel meines Wagens befestigt.«
Bald kam ein zweiter, ein dritter, vierter und fünfter Schnuller hinzu. Ihr Platz ist und bleibt die Ablage auf der Beifahrerseite in ihrem Auto. Bei IKEA hat Marianne Marxcord eine rutschfeste Unterlage gekauft, damit die Schnuller nicht ständig herunterfallen. Am Spiegel hängt keiner mehr, nachdem die älteste Tochter sich mal beschwert hatte, dass die Schnuller dort die Sicht behindern.
Schnuller findet Marianne Marxcord überall dort, wo Kinder sind. Am Strand in Spanien, bei IKEA, auf Pollhans oder in der Senne auf der Summer Show der britischen Armee. Die Familie, vor allem Ehemann Karl, ertragen ihre Marotte geduldig, beispielsweise, wenn sie mal wieder einen Schnuller aus dem Matsch aufliest. »Eigentlich hätte ich aufschreiben müsse, wo ich welchen Schnuller gefunden habe.« Einige wenige Schnuller hat Marianne Marxcord nicht selbst gefunden, sondern von Freunden oder Bekannten bekommen, die sie ihrerseits gefunden haben. Es müssen Schnuller sein, die gefunden worden sind. Bevor sie auf der Armaturenablage landen, werden sie einmal ausgekocht, mehr aber nicht. »Ich will sie ja nicht in den Mund nehmen.« Und obwohl es inzwischen 48 Stück sind, ist so gut wie kein gleicher dabei.
»Es gibt wohl sonst niemanden, der das macht«, sagt Marianne Marxcord. Denn immer wieder stehen Leute erstaunt und fasziniert vor ihrem Wagen. Sätze wie »So etwas habe ich ja noch nie gesehen«, fallen dann. Und man kommt ins Gespräch. »Ich freue mich, und die Leute haben Freude daran.« Und manchmal - wenn Kinder dabei sind - sagt sie: »Ich bin die Schnullerfee.«

Artikel vom 26.07.2005