20.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Führungskräfte wünschen
einen radikalen Politikwechsel

Allensbach-Umfrage - Votum für Merkel - BDI vergleicht Wahlprogramme

Berlin (Reuters). Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik wünschen sich einer Umfrage zufolge einen radikalen Politikwechsel mit CDU-Chefin Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Unter 509 befragten Top-Entscheidern votierten 68 Prozent für die Unions-Kanzlerkandidatin statt für Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD).
Im Bundestag hatte Kanzler Gerhard Schröder das Misstrauen der Mehrheit gewonnen. Das Vertrauen der Deutschen hat Rot-Grün lange nicht mehr. Die Mehrheit der Führungskräfte will den Politikwechsel.
Die deutsche Wirtschaft - hier der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt - setzt auf Angela Merkel als Bundeskanzlerin.Fotos: dpa

Das gab das Institut für Demoskopie Allensbach gestern in Berlin bekannt. Für Schröder sprachen sich nur 27 Prozent der Befragten aus. »76 Prozent sind überzeugt, eine neue Regierung sollte eine radikale Reformpolitik machen«, sagte Allensbach-Chefin Renate Köcher.
Von den Spitzenkräften aus der Wirtschaft verlangten 80 Prozent eine radikale Reformpolitik, bei den SPD-Anhängern seien es 60 Prozent, bei den Unions-Anhängern 81 Prozent. Weitgehend einig seien sich alle Befragten beim Thema vorgezogene Neuwahlen: 92 Prozent plädierten für die im September geplante Wahl. 58 Prozent verlangten sogar eine Verfassungsänderung, damit der Bundestag zukünftig über ein Selbstauflösungsrecht verfügt.
Bundespräsident Horst Köhler muss noch in dieser Woche über die Auflösung des Bundestages entscheiden, womit der Weg für Neuwahlen freigemacht würde. Allensbach befragte zwischen dem 28. Juni und dem 12. Juli im Auftrag des Magazins »Capital« 366 Manager aus Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern sowie 143 Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern und Leiter von Bundesbehörden.
Zu den wichtigsten Aufgaben einer neuen Regierung zählten 50 Prozent der Befragten den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, 39 Prozent ein einfacheres Steuersystem und 29 Prozent eine Reform der Sozialsysteme, während sich nur zehn Prozent für niedrigere Steuern aussprachen.
Allerdings überwiege die Skepsis bei der Frage, ob eine unionsgeführte Regierung diese Aufgaben bewältigen könne. 61 Prozent aller Befragten bezweifelten, dass CDU/CSU gut auf eine Regierungsübernahme vorbereitet seien. Selbst unter den Unions-Anhängern waren noch 53 Prozent dieser Meinung.
Einer höheren Mehrwertsteuer sieht die Wirtschaft der Befragung zufolge gelassen entgegen. Insbesondere wenn die daraus resultierenden Einnahmen zweckgebunden die Sozialabgaben senkten, befürworteten 76 Prozent der Manager eine Anhebung. Würden die Einnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte verwendet, stimmten noch 55 Prozent zu.
Politiker seien in dieser Frage zurückhaltender, nur 26 Prozent befürworteten eine höhere Mehrwertsteuer zu Gunsten der öffentlichen Haushalte, immerhin 66 Prozent zu Gunsten niedriger Sozialabgaben.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gibt den Wahlprogrammen von FDP und Union für eine Neuwahl den Vorzug. Das Unions-Programm sei zwar etwas zu zaghaft, sagte BDI- Präsident Jürgen Thumann gestern in Berlin. »Dennoch: Es kann zu mehr Wachstum in Deutschland beitragen.« Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer akzeptiere die Industrie aber nur, wenn sie ganz zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werde. Die Vorschläge der FDP kämen den Vorstellungen des BDI bisher am nächsten. Das Programm der SPD beurteilte er skeptisch, das der Grünen kritisierte er deutlich. Eine Wahlempfehlung will der BDI nicht geben.
»Das Wahlmanifest der SPD gleicht leider einem ÝManifest der inneren ZerrissenheitÜ«, sagte der BDI-Präsident. Einerseits bekenne sich die SPD zur Reform-Agenda 2010, andererseits verlasse sie den Kurs wieder. Thumann nannte eine »Reichensteuer« und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I »ganz schlecht«. Das Konzept der Grünen sei ein »Sammelsurium von zum Teil widersprüchlichen Wunschträumen«. Die Grünen wollten offensichtlich Dirigismus statt Eigenverantwortung.
Das CDU/CSU-Programm enthält nach Ansicht des Verbands Ansätze, die in die richtige Richtung weisen. Der BDI-Präsident erwähnte dazu betriebliche Bündnisse für Arbeit, Sozialreformen und die Senkung von Steuersätzen. Er warnte davor, eine höhere Mehrwertsteuer zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden. Eine Senkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 22 Prozent gehe nicht weit genug. Die Belastung liege wegen der Gewerbesteuer bei bis zu 36 Prozent. »Für mich heißt die Obergrenze 30 Prozent«, sagte Thumann.
Die FDP könnte dem Land nach Einschätzung des BDI vor allem bei Bildung und Steuern »richtig Aufwind geben«. Die bisherigen Vorschläge überträfen am deutlichsten die politischen Mindestanforderungen der Industrie.
Der BDI legte einen Forderungskatalog mit elf Punkten vor und verlangt eine große Steuerreform mit Senkung der Körperschaftsteuer, eine Reform der Mitbestimmung sowie niedrigere Energiekosten.

Artikel vom 20.07.2005