20.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Betriebsräte
haben sich
bewährt«

Im Gespräch: Martin Kannegiesser

Vlotho (WB). Martin Kannegiesser, Unternehmer aus Vlotho im Kreis Herford und Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, warnt davor, wegen der Missstände im Volkswagen-Konzern das gesamte System der Betriebsräte in Frage zu stellen. Notwendige Reformen spielten sich in einem überschaubaren Rahmen ab, sagte Martin Kannegiesser gestern in einem Gespräch mit Bernhard Hertlein.Mit den Schwächen der Menschen rechnen: Martin Kannegiesser. Foto: Stefan Hörttrich

Über wie viel freies Geld verfügen die Betriebsräte bei Kannegiesser?Kannegiesser: In unserem Betrieb gibt es kein freies Geld. Abgerechnet wird nach Aufwand -Êwie wohl in den allermeisten Unternehmen in Deutschland. Im Übrigen handelt es sich bei uns um vergleichsweise kleine Beträge etwa für Schulungsbesuche oder den Informationsaustausch mit anderen Werken. Für den Betriebsrat gelten dabei die gleichen Richtlinien wie für die anderen Beschäftigten.
Dann müssen Sie also nicht fürchten, dass die Betriebsräte dieses Geld genauso wie bei VW missbrauchen?Kannegiesser: Grundsätzlich lassen sich Missbrauch und Fehlverhalten niemals vollständig ausschließen. Man sollte mit den Schwächen der Menschen rechnen und sie gar nicht erst in Versuchung führen. In einem mittelständischen Betrieb fällt die Kontrolle vielleicht etwas leichter. Umso wichtiger sind entsprechende Mechanismen auch im Großkonzern.

Manche halten Betriebsräte jetzt schon für entbehrlich. Sie auch?Kannegiesser: Nein. Das Betriebsratskonzept ist mit der deutschen Unternehmenskultur verwachsen. Es hat sich in guten und schlechten Zeiten vollauf bewährt. Ich erinnere nur an die großen Umstrukturierungen in den neunziger Jahren. Sie wären ohne die starke Stellung der Betriebsräte und ohne das Vertrauen, das diese in der Belegschaft genießen, nicht möglich gewesen.
Unser Betriebsverfassungsgesetz verleiht den Vertretern der Belegschaft in den deutschen Betrieben eine sehr starke Stellung. Dies funktioniert, weil die Betriebsräte vor allem dem Wohl des Unternehmens verpflichtet sind und sich fühlen. Das Wohlergehen des Betriebs ist die gemeinsame Richtschnur, an der Geschäftsführung und Betriebsrat sich orientieren und immer wieder zusammenraufen.

Bei einem Regierungswechsel will die CDU das Mitbestimmungsrecht ändern. Was halten Sie davon?Kannegiesser: Die amtierende Bundesregierung hat mit ihrer Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes das System unnötig aufgebläht und Kosten verursacht, die nichts bringen.

Was kritisieren Sie dabei besonders?Kannegiesser: Zum Beispiel die Herabsetzung des Schwellenwertes, von dem an ein Betriebsrat freigestellt werden muss. Die Regierung hat diese Grenze auf 200 Beschäftigte heruntergesetzt. Verbessert wurde dadurch nichts. Es entstehen nur Kosten, ohne dass Qualität und Effizienz verbessert wurden. Deshalb geht auch nichts verloren, wenn diese Reform zurückgenommen wird.

Und die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten? Sie soll nach dem Willen der FDP gekippt werden . . .Kannegiesser: Ich glaube, wir müssen trennen zwischen der Arbeit der Betriebsräte und der Mitwirkung vor allem von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsräten von Großkonzernen.
Wir haben ein neues europäisches Recht, mit dem die deutsche Mitbestimmung nicht in Einklang zu bringen ist. Künftig sollen die Unternehmen ihre eigenen Lösungen individuell finden können. Als Auffanglösung, wenn keine Einigung zwischen den beiden Seiten erzielt wird, plädiere ich für die Aufteilung von zwei Dritteln der Sitze für die Arbeitgeber und ein Drittel für die Arbeitnehmer.

Artikel vom 20.07.2005