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»Familienfonds«
für extreme Fälle

Prozess gegen Schutzgelderpresser

Bielefeld (hz). Im Mammutverfahren vor dem Landgericht gegen mutmaßliche deutsch-russische Schutzgelderpresser aus den Reihen des Kampfsportvereins »Olymp« hat gestern einer von vier Angeklagten sein Schweigen gebrochen. Doch ein umfassendes Geständnis folgte nicht. Dafür gab es vor der Justiz tiefe Einblicke in Struktur und Ziele der nach dem Vorbild der russischen Mafia organisierten Gruppe.

Watscheslaw H. (29), der der Führungsriege der ehemals an der Ritterstraße residierenden »Olymp«-Schutzgelderpresser zugerechnet wird und Chef des Tür an Tür mit dem Sportverein sitzenden Inkassobüros »Herakles« gewesen ist, wies in einer 15-minütigen Erklärung alle Anklagevorwürfe weit von sich. In dem von seinem Verteidiger Dr. Lutz Klose verlesenen Papier beteuerte der dreifache Familienvater, dass der Verein mit Kampfsportschule in der Klosterpassage von der Gründung im Jahr 2003 bis zur Auflösung nach Polizeirazzia im November 2004 ausschließlich eine »Begegnungsstätte« gewesen sei. Man habe sich dem »gemeinnützigen Zweck« verschrieben, »Kinder und Jugendliche vom Alkohol und von der Straße fernzuhalten« und für gesunden Sport zu begeistern.
Auch seien in Ostwestfalen-Lippe und im angrenzenden Raum Osnabrück/Melle keine russischstämmigen Geschäftsleute bedroht worden, um als »Spenden« für den Verein »Olymp« getarnte Schutzgelder einzutreiben. Bedrohungen und Gewalt, so der aus Kasachstan stammende Watscheslaw H., habe es »zu keinem Zeitpunkt« gegeben - weder im Umfeld des Vereins noch beim damit eng verbandelten Inkassobüro »Herakles«.
Allerdings stehen im Durchsuschungsbericht der Bielefelder Kripoermittler gegen das organisierte Verbrechen ganz andere Details. Im Papier, das die Polizeirazzia gegen »Olymp« und »Herakles« vom 9. Novmeber vergangenen Jahres an der Ritterstraße dokumentiert, ist beispielsweise von einem »Fonds zur Förderung des Jugendsports« die Rede. Damit, so wurde aus dem beim gestrigen Prozesstag teilweise verlesenen Kripobericht deutlich, sollten nach den Vorstellungen der »Olymp«-Verantwortlichen legale und illegale russischstämmige Unternehmen in Deutschland abgeschöpft werden. Eine »mobile Gruppe für die Aufklärung des Fonds« sollte sich um das Ziel kümmern, von 100 Firmen monatlich 10 000 Euro »Spenden« einzutreiben. Nutznießer der Gelder sollten unter anderem »Familienmitglieder im Fall extremer Umstände« sein. Weitere Finanzmittel sollten zur Gründung von Bars und Diskotheken eingesetzt werden, deren Einnahmen dann wiederum die Kassen füllen würden.
Auch war offenbar kurz vor Eingreifen der Polizei im Spätherbst 2004 eine deutschlandweite Expansion des »Olymp«-Modells generalstabsmäßig geplant. Feste Kontakte unter anderem über einen weiteren deutsch-russischen Verein ins lippische Detmold und nach Blomberg hatte man schon geknüpft. Dass konkurrierende Kriminelle die Pläne der hiesigen Deutsch-Russen vielleicht bekämpfen würden, wurde nicht ausgeschlossen. Aber: »Brüder, wenn wir fest zusammenhalten, wird uns keiner umhauen!« heißt es in einem von der Kripo beschlagnahmten »Olymp«-Papier.
Fragen des Vorsitzenden Richters Wolfgang Korte zu diesem Thema wollten gestern weder Watscheslaw H. noch seine drei weiterhin schweigenden Mitangeklagten beantworten. »Kann ich nichts dazu sagen«, hieß es stets vom 29-Jährigen, wenn es vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichtes ans »Eingemachte« ging.
Der Prozess wird am kommenden Montag fortgesetzt.

Artikel vom 15.07.2005