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Unter Volldampf in die Runde

100 Jahre Ringlokschuppen und Drehscheiben-Comeback locken Tausende

Von Michael Diekmann und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Eine klitzekleine Träne konnte sich auch Olaf Teubert nicht verkneifen. Das schnaufende Dampfross auf der funktionstüchtigen Drehscheibe, und dann dieser tosende Applaus, als sich die tonnenschwere Fuhre mit 10 Bar Druck in Bewegung setzt. Samstag kurz vor 14 Uhr erfüllte sich Teuberts größter Wunsch: »Bielefelds Lokschuppen hat wieder seine Drehscheibe. Und die funktioniert wie eine Neue.«

Termingerecht zum großen Geburtstag war die komplizierte Technik der Anlage fertig geworden, in ehrenamtlicher Arbeit der Eisenbahnfreunde Bielefeld sowie zahlreicher Spenden heimischer Handwerker. »100 Jahre Ringlokschuppen« vereinten am Wochenende auf einzigartige Weise Eisenbahnfreunde und Musikfans auf geschichsträchtigem Boden.
Wo einst Dampfrösser saniert wurden, steppten am Sonntag Tanzkünstler, drückten sich Kinder die Nasen platt an der Modellbahn, stöberten ältere Bielefelder viele Stunden an den Schautafeln mit den Zeitungsdokumenten, die von der so wechselvollen Geschichte des Bahnjuwels berichteten, vom Kampf um den Denkmalschutz, den genau genommen ein 14-jähriger Steppke mit seinem Brief an den damaligen Oberbürgermeister Klaus Schwickert im September 1987 losgetreten hatte. Samstag war Achim Lindhoff, inzwischen 32 Jahre alt, Augenzeuge des Spektakels, in der Hand den Originalbrief von damals.
»Die Botschaft ist wirklich angekommen«, freute sich Hans Stratmann. Der Konzertveranstalter, selbst riesiger Eisenbahnfan, stöberte zwei Tage in kurzen Hosen über das Gelände, freute sich an der Begeisterung der vielen tausend Besucher am Sonntag, aber wohl ganz besonders an der Wiederinbetriebnahme der Drehscheibe und des Einständer-Lokschuppens, den die Bielefelder allein den Ehrenamtlichen verdanken. Zum Team gehören neben Olaf Teubert als treibender Kraft auch Stratmann, Architekt Volker Crayen und Landschaftsgärtner Edi Holdag, der sogar Terrier-Dame Ira vom Magnolienbusch mit auf den Führerstand nimmt, wenn er Dampflok fährt.
Während der Sonntag als Familientag mit Eisenbahnfahrten in den Altkreis, Tanz und Musik sowie jede Menge Kinderspass von Lokschuppen-Chefin Petra Minz und ihrem Team ausgelegt worden war, schlug am Samstag die Stunde der Vollbluteisenbahner. Olaf Teubert, frisch am Knie operiert, und die eben mit neuen Lagerschalen aus Oberhausen geholte ölgefeuerte »41360« Mitfahrten zwischen Schuppen und Vorbahnhof boten und damit Geld für die weitere Sanierung der Anlage eindampften, kamen die echten Fans ganz dicht heran. Sogar Textilunternehmer Walter Seidensticker, Inhaber mehrerer funktionierender Dampfrösser und seit Sanierung der legendären Bielefeld-01 mit Teubert eng verbunden, kam vorbei, um etwas Dampf zu schnuppern und das einzigartige Konzert aus klackendem Ventilspiel und Mechanik, begleitet vom gleichmäßigen Schnaufen der Maschine zu vernehmen.
Mit Kameras und Videoanlagen wurde jedes Detail der wunderschönen Lok eingefangen, jeder Atemzug und jede Perspektive. Immerhin dampfte Teuberts Kollege René Abel (36) Sonntag früh um 9.15 Uhr mit dem schwarzen Koloss über die eingleisige Lipperland-Bahn bis nach Altenbeken, zum Dampftreffen am Viadukt im Mekka der Eisenbahnfreunde. Sicher eine Folge der fantastischen Veranstaltung am Ringlokschuppen: Sogar an der Strecke warteten am frühen Morgen Fans auf die rauchende Fuhre.
Für engagierte Eisenbahner wie Teubert und Stratmann ist der Erfolg des Wochenende ein deutliches Signal in Richtung Bahn: Bielefeld hat wieder eine funktionierende Infrastruktur, eine der ganz wenigen Drehscheiben, Lokschuppen und ein unglaublich begeisterungsfähiges Publikum. Stratmann: »Wir haben alle Vorleistungen erbracht, dass Bielefeld künftig Ausgangspunkt für Dampffahrten sein kann und damit fester Bestandteil im Jahreskalender der historischen Züge.«

Artikel vom 04.07.2005