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Achteinhalb Jahre gefordert

Verteidiger: Freispruch für Manuels Mutter - Vater belastet

Bielefeld (uko). Simone K., die Mutter des kleinen Manuel, hat gestern vor dem Schwurgericht noch einmal ihre Unschuld beteuert: »Ich habe nichts gemacht«, sagte die 23-jährige Angeklagte. Zuvor hatte ihr Verteidiger Detlev Binder für sie einen Freispruch beantragt. Staatsanwalt Christoph Mackel indes forderte wegen Totschlags achteinhalb Jahre Freiheitsstrafe und die Unterbringung der Frau in der Psychiatrie.

Die Vorstellungen der beiden Protagonisten konnten - wie erwartet - konträrer nicht sein. Mackel ist nach den Gutachten von Rechtsmediziner Dr. Bernd Karger und Psychiater Dr. Martin Reker von der Schuld der Angeklagten überzeugt: »Es steht fest, dass sie Manuel erstickt hat.« Binder hingegen hält auch andere Täter für möglich: »Simone K. muss nicht die Täterin gewesen sein.«
Der 22 Monate junge Manuel war am 25. Juli 2004 mit einem Atemstillstand in die Kinderklinik eingeliefert worden. Zwei Tage später starb das Kind. Mutter Simone K. hatte mit ihrem Ehemann und drei Kleinkindern in einem Wohnwagen auf dem Grundstück an der Walter-Werning-Straße gewohnt, weil wenige Tage zuvor das Wohnhaus der Großfamilie K. abgebrannt war. Der unerklärliche Tod habe zu größten Anstrengungen der hervorragenden Münsteraner Rechtsmediziner geführt, erinnerte der Staatsanwalt an die monatelangen Untersuchungen. Nach dem Ausschlussverfahren folgerten die Obduzenten (wie auch die Ärzte in der Kinderklinik), nur ein Ersticken könne die Todesursache sein.
Simone K. zumindest sei an jenem Abend als einzige Person im Wohnwagen gewesen, habe Manuel zu Bett gebracht. Niemand anderes habe den Wagen betreten. Diese Indizien bereicherte Mackel durch die Schilderung der unhaltbaren Familienverhältnisse: Simone K. sei »sozial verarmt, isoliert«. Die ganze Familie habe »keine Außenkontakte gehabt«. Die Kindheit der Angeklagten sei geprägt gewesen von »sozialer Verarmung, Unterdrückung von Neigungen und Anlagen, absoluter Einengung, Kontrolle und latenter Gewalt«.
Durch die Heirat habe die Frau ausbrechen wollen, sei jedoch an einen psychisch kranken und gewaltbereiten Ehemann geraten. Ihre drei Kinder habe sie als Kompensation und Selbsterfüllung erhofft, doch ihre Zukunftsperspektiven seien immer schlechter geworden.
Simone K. habe als Ausdruck eines Borderline-Syndroms sich vor der Geburt der Kindern Selbstverletzungen beigebracht, habe mit diesen Autoaggressionen wieder begonnen, nachdem ihr das Sorgerecht für die beiden verbliebenen Söhne entzogen worden seien. Christoph Mackel stufte die Frau als eingeschränkt schuldfähig zur Tatzeit ein und forderte achteinhalb Jahre Haft. Da von der Frau weitere erhebliche Taten zu erwarten seien, müsse Simone K. in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht werden. Das Schwurgericht wird das Urteil am kommenden Dienstag verkünden.

Artikel vom 29.06.2005