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Mit Kasse vor dem Bauch in der Tram

Die Jobs der Professoren (25): Physiker Dr. Ulrich Heinzmann


Bielefeld (sas). Das Jobben gehörte zu Studententagen auch für Prof. Dr. Ulrich Heinzmann dazu. Schließlich wollte nicht nur der Lebensunterhalt bestritten, sondern auch das Auto - eine gelbe Isetta - finanziert sein.
»Direkt nach dem Abitur, das ich 1965 abgelegt habe, habe ich als Briefträger gearbeitet«, erzählt er. Mit zwei dicken und schweren Taschen bepackt ging es morgens los, unterwegs wurde »nachgeladen«. Dabei, erinnert sich der Physiker, der an der Uni Bielefeld in der Molekül- und Oberflächenphysik lehrt und forscht, brachte er damals aber nicht nur die Post ins Haus, sondern oft auch noch das Geld. Das bedeutete dann nicht nur einen warmen Regen für die Empfänger, sondern häufig auch ein Trinkgeld für den Boten: »Dann gab es 50 Pfennig, manchmal sogar eine Mark«, erinnert er sich und fügt hinzu, dass die einfachen Leute am großzügigsten gaben.
Erfahrungen sammelte der Student Heinzmann auch in Stadtteilen, in denen er sonst nicht verkehrte - »Der Postbote kommt schließlich überall hin.« - und traf dort schon mal die Damen im Unterrock an. Ebenso hörte er bei anderen seinen Vers, wenn er sich um zehn Minuten verspätete. »Es gab Leute, die standen schon am Gartentor, um ihre Zeitung in Empfang zu nehmen. Wenn man nicht auf die Minute kam, war der Tag für die gelaufen.«
Sein Geld hat Ulrich Heinzmann aber auch bei den Stadtwerken in Karlsruhe verdient: als Straßenbahnschaffner. »Damals gab es noch alte Wagen, die man mit der Kasse vor dem Bauch durchlaufen musste.« An jeder Haltestelle musste der Schaffner Leine ziehen, wenn kein Fahrgast mehr auf dem Trittbrett der offenen Waggons stand; es ertönte ein Klingelzeichen, und weiter ging es.
»Wir Studenten wurden vor allem auf Abruf, also im Krankheitsfall oder in Spitzenzeiten, eingesetzt.« Spitzenzeiten waren auch, wenn bei schönem Wetter ganz Karlsruhe zum Freibad an den Rhein strömte. »Weil dann die Bahnen so voll waren, dass oft kein Durchkommen war, stand man als Schaffner an der Freibad-Haltestelle und fertigte Wagen für Wagen ab.« Ein Erinnerungsstück an diese Zeit hat der Physiker noch: eine falsche Fünf-Mark-Münze. »Die hatte mir jemand unbemerkt angedreht.« Auf den ersten Blick sah sie einem verschmutzten Fünfer durchaus auch ähnlich. »Aber wenn man sie fallen ließ, klang sie blechern.«
In den letzten Semestern seines Studiums konnte Heinzmann sein Geld schon vergleichsweise komfortabel verdienen: als Tutor an der Technischen Universität Karlsruhe. »Ich habe Übungsgruppen für jüngere Studenten geleitet.«
Das Auto, in das einiges des verdienten Geldes floss, ist längst Geschichte: Der TÜV trennte die Isetta von ihrem Besitzer. »Ich habe sie dann für 200 Mark verkauft«, erzählt Heinzmann, und das Bedauern klingt durch. Immerhin 60 Stundenkilometer schaffte die »Knutschkugel« von BMW. »Am schnellsten war ich aber, als ich einmal liegengeblieben war und abgeschleppt werden musste...«

Artikel vom 24.06.2005