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Huldvolle Madonna,
monströse Spinnenfrau

George Condo in der Kunsthalle: »One 100 Women«

Von Matthias Meyer zur Heyde und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). »Beautiful!« Mit echter Begeisterung hat George Condo auf Konzeption und Hängung seiner Bilder durch Thomas Kellein reagiert. Der Leiter der Kunsthalle eröffnet am Sonntag die Retrospektive »One Hundred Women«.
Untypische Schönheit: George Condo vor dem »Portrait of a Woman« (2002). Bis zum 14. August ist die Ausstellung geöffnet.

Denn Frauen prägen das Schaffen des New Yorkers wie wohl bei keinem anderen Künstler. Von den 52 zumeist großformatigen Ölbildern, den 25 expressiven Zeichnungen und - in einer künstlerischen »Nebenlinie« - auch in den fünf Skulpturen blicken den Betrachter huldvolle Madonnen an und die Heilige Lucia, ein Spinnenfrau-Monster und eine fast gesichtslose Österreicherin.
»Ich liebe Bugs Bunny«, sagt George Condo (47), der den Zeichentrickhasen zu den Helden seiner Kindheit zählt. »Ich habe oft versucht, die Alten Meister und die mit leichtem Herzen entworfenen Comic-Figuren in meiner Arbeit zusammenzuführen.« Mit Erfolg und, vor allem, mit Humor: Die »Anbetung der St. Lucia« (1992/93) greift Renaissance-Innigkeit ebenso auf wie Disney-Ideen.
Der Natur-Allegoriker Arcimboldos »Frühling« winkt von ferne herüber, wenn die knollennasige, apfelbäckige Frau auf dem »Imaginary Green Portrait« (1997) ins Grüne stiert; Dalí treibt im außerirdischen Jenseits weiter Schabernack - jenseits der »Extraterrestrial Improvisation III« (1995) jedenfalls. Referenzen an große Namen, keine wörtlichen Zitate.
Denn die Kopie ist langweilig. Ist sie das? »Ich habe im Louvre erlebt, dass die Besucher die Originale unbeachtet ließen, um fasziniert einem jungen Kopisten über die Schulter zu sehen - den habe ich in mein New Yorker Atelier eingeladen und immens viel von ihm gelernt«, erzählt Condo.
»Wenn ich die Bilder anderer Künstler sehe, packt mich der Wunsch zu denken, wie sie denken.« Das sei ein Grund für seine Beschäftigung mit europäischer Malerei gewesen. »Anfangs wollte ich aufbegehren gegen die festgefahrenen Regeln, was ein Maler darf und was nicht. Im Dialog mit fremden Bildern habe ich meine künstlerische Freiheit gewonnen.« Weiterentwicklung durch Analyse bereits bestehender Wirklichkeiten - und so klingt dann eben aus der »Interchangeable Reality« (1994) ein Lied von John Dowland (  1626) und ragt ein Elektrokabel aus einer Eierschale.
Zwei Bilder, die George Condo wenige Tage nach dem 11. September malte, gehören jetzt der Kunsthalle. »Ich halte es für die Pflicht eines Künstlers, auf diesen Horror zu reagieren«, sagt der Bush-Kritiker. Koinzidenz der Ereignisse: »Als die Rettungsmannnschaften mit den Händen im Staub des World Trade Centers nach den Körpern der Opfer wühlten - vergeblich -, habe ich mit meinen Händen im weichen Ton die gültige Gestalt meiner Figuren zu ertasten versucht.« Als die Türme kollabierten, entstand in George Condos Skulpturen neues Leben.

Artikel vom 16.06.2005