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Organspende
Das Ende kann ein Anfang sein


Von Daniela Rahn
»Eine Organspende kommt im Falle meines Todes nicht in Frage. Ich möchte nicht, dass ein anderer Mensch mit meinem Herzen oder meiner Niere weiterlebt.« Das ist eine Meinung, die man respektieren muss. Der Mensch, der seine ganz persönliche Haltung zu diesem Thema so in Worte fasst, hat sich mit der Problematik auseinandergesetzt und eine Entscheidung getroffen.
Damit ist er ein ganzes Stück weiter als viele von uns. Zugegeben: Über den Tod - und noch dazu über den eigenen - nachzudenken, darüber zu sprechen, was passiert, wenn man plötzlich stirbt, ist keine angenehme Aufgabe. Und doch gehört der Tod zum Leben, man kann ihn nicht vollkommen aus dem Blickwinkel des Diesseits verbannen. Zumal dann nicht, wenn es nach dem eigenen Tod darum geht, wie andere weiterleben.
Dabei werden zu Lebzeiten durchaus Pläne für »die Zeit danach« geschmiedet. Erbgüter wie Lebensversicherungen, Immobilien, Autos, Schmuck - dort, wo große Werte in Besitz sind, wird die Verteilung auf die nachfolgende Generation von vielen verantwortungsvollen Bürgern rechtzeitig geregelt.
Doch vielleicht gibt es auch eine Verantwortung, die über die rein materielle Versorgung der eigenen Familie hinaus geht? Nicht eine, die man sich einreden lässt. Sondern vielleicht eine, die man in sich spürt, wenn man sich vorstellt, ein anderer Mensch könnte vielleicht weiterleben, wenn man selbst Organspender wäre. Hätte man vielleicht schon einen Organspendeausweis im Portemonnaie, wenn das Schicksal in der eigenen Familie zugeschlagen hätte und ein Angehöriger seit Jahren dringend auf ein Spenderorgan hoffte?
Nach aktuellem Stand warten in Deutschland 9337 Menschen auf eine Niere, 1340 auf eine Leber, 547 auf ein Herz und 407 auf eine oder zwei Lungen. Unterdessen sterben in unseren Krankenhäusern rund 400 000 Menschen im Jahr. Doch da eine Organspende nur dann in Betracht kommt, wenn der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt, käme - rein theoretisch - ohnehin nur ein Prozent der Toten für eine Organentnahme in Frage.
Man kann sich als Gesunder nicht vorstellen, was ein potenzieller Empfänger durchmacht, wenn er durchschnittlich fünf bis sechs Jahre auf eine Organspende warten muss - insofern er so lange überlebt. Die Dramatik ergibt sich nicht durch jene Menschen, die sich für den Fall des eigenen Todes ausdrücklich gegen eine Organentnahme entschieden haben. Sondern durch den Großteil der Bevölkerung, der zu diesem Thema nicht Stellung bezieht. Nicht zuletzt deshalb, um Angehörigen im Nachhinein eine Entscheidung zu ersparen, von der sie nicht genau wissen, ob der Verstorbene sie gewollt hätte. Das wäre ein Stück Verantwortung, die man nur zu Lebzeiten übernehmen kann.

Artikel vom 17.06.2005