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Angeklagte erlebte als Kind zu Hause Gewalt

Eltern sperrten Kinder lange Zeit in dunklen Raum

Von Uwe Koch
Bielefeld (WB). Die unglaublichen Familienverhältnisse der Angeklagten Simone K. stehen im Indizienprozess um die Tötung eines 22-monatigen Kleinkindes vor dem Bielefelder Schwurgericht weiter im Mittelpunkt. Die 23-Jährige soll ihr Kind erstickt haben und ist des Totschlags angeklagt. Die Frau bestreitet bisher alle Vorwürfe.

Der kleine Manuel war am 25. Juli 2004 mit einem Atemstillstand in die Bielefelder Kinderklinik eingeliefert worden. Zwei Tage darauf starb der Junge, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Wenige Tage zuvor war zunächst das Haus der Familie K. abgebrannt, dann war das jüngste von drei Kindern der Simone K. ebenfalls wegen eines Atemstillstandes behandelt worden. Dieser Junge konnte gerettet werden.
Simone K. wuchs wie ihre sechs Geschwister in einer gewalttätigen Atmosphäre auf. Das stellte die Jugendkammer des Landgerichts Bielefeld bereits 1998 in einem anderen Prozess gegen den Bruder von Simone K. fest. Thomas K. (heute 27) hatte mit einem Komplizen im Mai 1997 eine Bäuerin bestialisch ermordet, war dafür zu acht Jahren und neun Monaten Jugendstrafe verurteilt worden. Die Richter stellten im Prozess eine furchtbare Verwahrlosung des Jungen fest: Die Eltern hätten auf die geringsten Verfehlungen mit Prügeln reagiert, die Kinder bei kleinsten Unartigkeiten in einen dunklen Raum eingesperrt, in dem ein Eimer als Toilette diente. Die Eltern seien dann geraume Zeit außer Haus gewesen. Thomas und Simone K. sowie ihre Schwestern und Brüder hatten auch in der Schule jeglichen Kontakt zu Mitschülern zu meiden. Von gemeinsamen Veranstaltungen wie Wandertagen oder Klassenfahrten waren sie auf Geheiß der Eltern ausgeschlossen gewesen.
Bruder Michael K. hatte 1990 als 18-Jähriger Suizid begangen. Er setzte seinem Leben mit dem Pflanzengift E 605 ein Ende. Bruder Marco K. ist geistig behindert. Zwei Schwestern haben lange Drogenkarrieren hinter sich. Ein Bruder wurde in eine Pflegefamilie abgegeben.
Simone K. hatte im Vorfeld dieses Strafverfahrens mehrfach bekundet, von ihren Eltern abhängig zu sein. Günter (63) und Brigitte K. (58) sind im übrigen die Betreuer des Ehemannes der Angeklagten. Nach der Zeugenaussage eines Schwagers der Angeklagten wird Dirk K. als Betreuter »wie ein Sklave gehalten«. Die Eltern selbst wollen im Prozess gegen ihre Tochter nicht aussagen. Sie haben darüber hinaus auch ihrem Mündel Dirk K. untersagt, eine Zeugenaussage zu machen.

Artikel vom 08.06.2005