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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Der Schriftsteller Arno Schmidt hat sich über die Person Jesu folgendermaßen geäußert: »Was würden wir heute sagen, wenn ein junger Mann aus irgendeinem unbedeutenden Zwergstaat käme, keiner der großen Kultursprachen mächtig, völlig unbekannt mit dem, was in Jahrtausenden Wissenschaft, Kunst, Technik, auch frühere Religionen geleistet haben - und ein solcher stellte sich vor uns hin mit den dicken Worten: ÝIch bin der Weg und die Wahrheit und das LebenÜ? . . . Würden wir ihm nicht halb belustigt, halb verständnislos raten: ÝJunger Mensch, lebe erst einmal und lerne und komme in 30 Jahren wiederÜ? Genau dies aber ist der Fall mit Jesus von Nazareth: Er verstand weder Griechisch noch Römisch . . . Er war mit Homer ebenso unbekannt wie mit Phidias und Eratosthenes - was ein solcher Mann behauptet, ist für mich von vornherein indiskutabel!«
Der Widerwille gegen Christus tarnt sich gern. Er legt bestimmte Meßlatten und Maßstäbe von außen an ihn an und gibt sich auf diese Weise sachlich und streng objektiv: Jesus verkörperte nicht den Wissensstand seiner Zeit, also ist er unbedeutend, und sein Wort zählt nicht. So Arno Zweig: »Die Christen müßten erlöster aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben soll.« So Friedrich Nietzsche: »Die Menschheit müßte menschlicher geworden sein, sofern er Macht haben sollte.« So viele Stimmen heute.
Scheinbar rationale und neutrale Kriterien indessen kaschieren nur das verborgene wirkliche Motiv: die Scheu vor der Begegnung mit Christus. Sein Wesen und seine Wahrheit erschließen sich aber nur in offener Begegnung. Das übrigens ist unter gewöhnlichen Menschen nicht anders.
Einem anderen offen zu begegnen, kann allerdings auch unbequem sein. Geht es dabei über unverbindliche Plaudereien hinaus, kommen Lebensfragen zur Sprache, so ist das immer auch riskant. Es verunsichert nämlich. Die Evangelien zeigen auf Schritt und Tritt, daß dies in der Begegnung mit Christus geschieht.
Indessen erschüttert er niemanden, indem er ihn erniedrigt oder bloßstellt. Im Gegenteil, die nachhaltigsten Erschütterungen gehen von seiner Güte aus. Als Petrus den unvorhersehbar reichen Fischzug tut, da bekennt er: »Herr, gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch.« Als er in das Haus des Zöllners Zachäus einkehrt und diesem schwarzen Schaf, das sonst völlig isoliert wird, auf diese Weise zu verstehen gibt: »Auch du bist Abrahams Sohn«, auch dich hat Gott lieb - in dem Augenblick verwandelt sich jener und entdeckt, daß auch er ein Gewissen und ein Herz hat.
Die Liebe, die Christus verkörpert, verströmt freilich nicht nur angenehme und behagliche Wärme; sie kann auch brennen wie Feuer. Das Licht, das von ihm ausgeht, tut nicht nur den Augen wohl, sondern es kann wie Röntgenstrahlen die Seelen bis in ihre tiefsten Tiefen durchdringen.
Darin aber liegt der entscheidende Grund dafür, daß Jesus - hinter lauter Vorwänden versteckt - soviel Ablehnung erfährt. Denn steigerte er lediglich die Lebensqualität, erschlösse er Schatzkammern geheimen Wissens und überirdischer Erkenntnisse, verabreichte er Medikamente gegen die Angst oder böte er eine Methode für gute Laune und seelische Harmonie, so lägen ihm die Menschen nicht weniger zu Füßen als anderen, die derlei versprechen.
Christus aber erspart keinem, sich mit seinem eigenen Leben und mit seiner eigenen Person auseinanderzusetzen. Doch letztlich geht es ihm darum, daß Menschen begreifen: Es gibt nur einen einzigen tragfähigen Lebensgrund: Das Vertrauen, daß Gott einen unter allen Umständen liebt und nicht fallen läßt.

Artikel vom 28.05.2005