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Nun mach aber mal einen Punkt, Tete«, rief Jorke dazwischen und hieb mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Du bist ja unerträglich! Wenn er von günstigen Böschungswinkeln erzählt, dann haben wir ihm zu glauben. Er ist der Fachmann! Du selbst ganz bestimmt nicht, wenn es um Berechnungen geht. Jeder auf den Halligen weiß, was du als Fennemacher für eine Flasche bist und wie oft du deine Messungen nachbessern musst!«
Dem Ratmann stieg die Röte ins Gesicht. Er beugte sich hastig zum Schiffer der Rüm Hart hinunter und zischte ihm etwas ins Ohr.
»Du bist so großmäulig wie deine ganze Sippschaft, Jorke«, rief dieser. »Siehst du nicht, wohin es deine Familie gebracht hat? Die Männer auf See, und du mutterseelenallein auf einem Hof, der dich überfordert!«
»Jede Sau hält am meisten von ihren eigenen Ferkeln, das ist bekannt«, antwortete Jorke schnippisch. »Du solltest trotzdem deinem Sohn noch mal ausführlich erklären, wie man erkennt, wo der Wind herkommt, statt dich um mich zu sorgen. Mir geht's gut und meinen Brüdern auch. Sie betreiben die Seefahrt, mit der Männer wie du nur prahlen.«
»Ruhig, ruhig, Leute«, mahnte Mumme Ipsen und versuchte, mit hocherhobenen Händen das allgemeine Gerede und die Unruhe zu stoppen. »Wir kennen ja deine deutliche Ausdrucksweise, Jorke, und wissen sie zu nehmen. Aber wir sind hier zu einer Besprechung, nicht um uns zu streiten. Ich schlage vor, dass wir eine Pause einlegen, in der sich jedermann sein Bier holen kann, danach soll es gesittet weitergehen.«
Der Tresen war viel zu kurz, um den Andrang in kurzer Zeit zu bewältigen, aber Hansen kam die Verschnaufpause gerade recht, damit er sich eine neue Taktik zurechtlegen konnte.
Als alle wieder saßen, holte er in die Vergangenheit der Friesen aus, die so ruhmreich war, dass sie selbst den schlechtgelauntesten Friesen aufmuntern musste. »In einem gebe ich Tete Friedrichsen Recht«, sagte er. »Die Friesen waren immer Seeleute, und ihr Geld brachte Wohlstand auf die Halligen, vor allem durch den Walfang. Vielleicht nicht so hohe, aber regelmäßige Einnahmen könnten euch in Zukunft durch den Deichbau zufließen.«
»Deichbau! Mann! Weißt du nicht, dass wir uns für die Ausbesserung unserer Sommerdeiche jedes Jahr zwei Männer vom Festland kommen lassen, die wir bezahlen?«, fragte ein Zwischenrufer aus der Menge.
»Doch«, erwiderte Hansen unbeeindruckt. »Ungelernte Arbeiter mit Schaufeln. Für den Deichbau, den ich meine, sind Fachleute nötig. Gestandene Männer, die sich nicht scheuen, Deichquerschnitte und Böschungswinkel zu berechnen. Zugegeben, es ist etwas anderes als das Berechnen von Kursen in der Seefahrtschule auf Amrum, aber die Anlegedreiecke sind die gleichen.«
»Hört!«, rief Jorke anerkennend.
Hansen verbarg ein Lächeln. »Ich denke, einen Mann aus jeder Familie wird die Wasserbauinspektion wohl einstellen können. Das wäre eine sichere Einnahmequelle, Sommer für Sommer.« Zwar wusste er nicht, ob er hier den Mund zu voll nahm, aber nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Deichbau konnte es ungefähr hinkommen. Er erkannte in vielen Augen Staunen, dann wachsende Bereitwilligkeit. Aber er wollte sie alle auf seine Seite bringen.
»Ihr Männer seid dann nicht mehr darauf angewiesen, dass eure Frauen Bargeld mit dem Verkauf von Eiern, Butter und Wollstrümpfen ins Haus bringen«, fügte er hinzu und war ausnahmsweise dankbar dafür, dass Gerda nicht in Hörweite war. Sie hätte ihm für eine solche Bemerkung tüchtig den Kopf gewaschen. Aus dem Augenwinkel stellte er fest, dass Jorke sich mit einem vorwurfsvollen Blick begnügte. Er konzentrierte sich auf Friedrichsen.
Der kaute mürrisch auf der Unterlippe und sah sich ratlos in seiner engsten Anhängerschaft um. Der Schiffer zuckte mit den Achseln.
Sein zum Greifen naher Sieg machte Hansen schwindelig vor Erleichterung. Er beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen, denn vielleicht würde er die Bewohner aller drei Halligen nie wieder in einem Raum beisammen haben. »Es wäre eine großartige Geste von euch Halligleuten, wenn ihr außer dem Uferstreifen für den Steindeich noch die aufgegebene Peterswarf an das Reich abtreten würdet. Man könnte sie in den Deich einbeziehen, ebenfalls befestigen und einen Leuchtturm darauf errichten.« Hansen wurde vom eigenen Schwung fortgetragen.
Nachdem er sich zufrieden einen Schluck genehmigt hatte, fügte er noch eine Bemerkung hinzu, die er wichtig fand. Die Intelligenteren würden ihre Bedeutung verstehen. »Von der Großschifffahrt wird ein Leuchtturm dringend benötigt.«
Die Stimmung schlug schneller um, als ein Hagelschauer im Frühjahr auf Sonnenschein folgt. Bestürzt starrte Hansen auf den Ratmann Friedrichsen, der sich mit triumphierend leuchtenden Augen an seinem Tisch hochstemmte.
»Das ist es also! Die Großschifffahrt!«, bellte Friedrichsen. »Die Preußen geben uns den Gnadentod nur nicht, weil sie einen Leuchtturm brauchen. Für die Großreeder und die Kriegsmarine! Es geht nicht um uns Halligleute! Wir sind denen völlig gleichgültig! Wenn ihr mich fragt: kein Fußbreit Halligland für eine Obrigkeit, die auch bereit wäre, uns ganz aufzugeben!«
»Genau!«, schrie jemand, der derart vom Pfeifenrauch eingehüllt war, dass Hansen sein Gesicht nicht sehen konnte, »und haben sie den Uferstreifen erst mal, bauen sie auch den Leuchtturm.«
»Richtig!«
Der Schiffer, dessen Einstellung Hansen inzwischen ja bekannt war.
»Aber«, übernahm wieder Friedrichsen das Wort, »wir Halligleute brauchen keinen Leuchtturm, wir finden auch ohne ihn nach Hause. Wenn man es genau bedenkt, könnten sie mit einem Uferstreifen, der ihnen gehört, ja alles Mögliche machen: ihn mit Extrasteuern belegen, wenn wir ihn auch nur betreten, um zu unseren Booten zu gelangen, einen Kriegsschiffhafen bauen, den wir nicht wollen, weil er die Feinde anlockt, und, und, und É«
»Das ist sicher nicht ihre Absicht«, warf Mumme friedfertig ein, aber was er sonst vielleicht noch hätte sagen wollen, ging im zunehmenden Tumult unter.
Hättest du bloß den Mund gehalten, dachte Hansen verärgert. Er spürte nur zu genau, dass er die Männer an diesem Abend nicht mehr beruhigen konnte.
Friedrichsen hob gebieterisch die Hand, bis der Lärm abflaute. »Was sagst du dazu, Lorns?«
Der Angesprochene wedelte den Rauch breit grinsend von seinem Platz fort und schälte seine Beine unter dem Stuhl hervor. Als er stand, musste er den Kopf unter der Decke einziehen. »Was soll ich schon sagen? Dasselbe wie du, Vetter. Ich werde die Kriegsmarine bestimmt nicht anlocken. Damit es ein für allemal klar ist: Meine alte Warf bekommt niemand, weder für einen Steindeich noch für einen Leuchtturm.«

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 28.05.2005