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»Es ist gut, die Jugend über alles zu informieren«

Ex-KZ-Häftling zu Gast bei Ravensberger Schülern

Von Matthias Meyer zur Heyde und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, Friede zwischen den Völkern« - leidenschaftlich hat Oleg K. Wasjukow vor mehr als 100 Schülern ein menschliches Miteinander beschworen. Der ehemalige KZ-Häftling wurde gestern vom Bundespräsidenten empfangen.

Seit Ostern hatten die Neunt- und Zehntklässler der Ravensberger Schule für Sprachbehinderte das Treffen mit dem 72-jährigen Ukrainer vorbereitet. Auf Initiative deutscher Schulen - in diesem Fall war Geschichtslehrerin Petra Kombächer federführend - und mit Unterstützung des IBB (Internationales Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund) war der Zeitzeuge aus Lemberg/Lwiw an den Teuto gereist, wo er von seiner Leidenszeit erzählte und die Fragen der Schüler beantwortete.
Oleg Kasimirowitsch Wasjukow hat jüdische Wurzeln und wurde Ende 1941 als Neunjähriger ins Vernichtungslager Drobiskij Jar am Rande der Stadt Charkow verschleppt. Nach einem Monat gelang ihm die Flucht - wenige Tage später wurden alle Lagerinsassen, darunter Wasjukows Familie, erschossen. »Mir wohlgesinnte Menschen in verschiedenen Dörfern haben mich auf ihren Dachböden versteckt«, berichtet der Ukrainer, dessen Odyssee erst mit der Rückeroberung Charkows am 23. August 1943 ein Ende fand.
Nach dem Krieg durfte der Junge eine Schule besuchen; 1956 schloss er sein Journalistikstudium ab, arbeitete fürs Fernsehen, bekam schließlich eine eigene Literatur-Sendung und promovierte über Ästhetik im TV. Von 1964 bis 1991 lehrte Wasjukow an der Lemberger Kunstakademie. Heute schreibt er Bücher, Historisches ebenso wie Gedichte, und zwei Bände schenkte er der Ravensberger Schule für deren Bibliothek.
»Als ich für Steven Spielbergs Archivsammlung interviewt wurde, hat mich das sehr mitgenommen«, verriet Wasjukow den Schülern. »Aber es ist gut, dass ich alles erzählt habe, und es ist gut, wenn die Älteren berichten, denn anderenfalls wären die Begebenheiten im Dunkel der Vergangenheit unwiederbringlich verloren.« Die junge Generation dürfe sich glücklich schätzen, Krieg nie kennengelernt zu haben. »Aber die Erinnerungsarbeit, die ihr hier leistet, ist wichtig«, lobte Wasjukow das Engagement der Jugendlichen.
Der mit einem Orden geschmückte Zeitzeuge - bereits in der UdSSR wurden jugendliche KZ-Häftlinge den Veteranen der Roten Armee gleichgestellt -Ê hat inzwischen Bielefeld besichtigt und nahm in Berlin an einer Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Kriegsendes teil. Unter den Zuschauern waren auch seine Bielefelder Gastgeber: »Die Schüler haben ihr Taschengeld für diese Reise zusammengekratzt«, sagt Schulleiter Manfred Wüst voller Bewunderung.

Artikel vom 09.05.2005