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Leitartikel
Ein Papst weckt Hoffnung

Auch die
Protestanten
suchen Sinn


Von Helmut Matthies
Als Deutscher wird der Papst in Deutschland ganz anders gehört werden als sein Vorgänger aus Polen. Selbst in ansonsten gottlosen Medien herrscht geradezu eine Papst-Euphorie. »Bild« titelte nach der Wahl Joseph Ratzingers - alle und alles vereinnahmend: »Wir sind Papst!« Eines der weitgehend atheistischen Magazine dieses Landes, der »Stern«, brachte gar eine Sonderausgabe heraus - was bisher niemandem widerfuhr. Die linke »tageszeitung« (taz) hat Recht: Benedikt XVI. hat schon jetzt in Deutschland politisch-gesellschaftlich mehr Einfluss als jeder andere Papst vor ihm.
Der neue Papst wird auch religiös wesentlich einflussreicher werden als sein Vorgänger, steht er doch der deutschen Mentalität näher. So fehlt ihm die viele Protestanten abstoßende überbordende Marienfrömmigkeit von Johannes Paul II. In seiner Rede bei seiner Amtseinführung kam Maria nicht ein einziges Mal vor. Die Ansprache war geradezu ein Ruf zum Glauben an Christus.
Was den neuen Papst besonders bei Evangelikalen - in diesem Fall aber auch bei konservativen Katholiken - noch überzeugender macht, ist, dass er jede Vermischung des christlichen Glaubens mit anderen Religionen abwehrt. Kurzum: Er wirkt insgesamt weniger römisch-katholisch, was Deutschlands Unterhalter Nummer 1, den Katholiken Thomas Gottschalk, bereits zu der Bemerkung verleitete: »Dass wir nach 482 Jahren wieder einen Papst aus Deutschland haben, bedeutet: Der Herr hat uns Martin Luther verziehen!«
Das ist natürlich Unsinn, gibt aber eine Stimmung wieder. Peter Hahne - leitender Redakteur beim ZDF, Mitglied der Leitung der EKD und übrigens auch Deutschlands aktueller Bestsellerautor Nummer 1 - drückt es so aus: »Der neue Papst wirkt wie der Billy Graham für Intellektuelle: glasklare Theologie in bildhafter Sprache und plastische biblische Geschichten verbunden mit einer einladenden Botschaft von elementarer Einfachheit und geistig-geistlicher Tiefe.« Einer der bekanntesten Theologen der Nachkriegszeit, Helmut Thielicke, sagte 1972 nach dem Erscheinen von Joseph Ratzingers erstem bekannteren Buch »Einführung in das Christentum«: »Lest es! Es ist bis auf drei, vier Seiten über Maria evangelisch.«
Die große Euphorie über den neuen Papst hat jedoch als tiefste Ursache die wachsende »Sehnsucht nach Maßstäben und Werten«, so sagte es Angela Merkel. Immer mehr Menschen wünschen sich einen Orientierungsgeber, ein Vorbild, das sagt, wo es langgeht.
Und hier dürfte die größte Herausforderung liegen: Wofür steht der Protestantismus angesichts solcher Verehrung? Was antwortet er auf die Suchfrage nach Sinn? Bisher wirkt er wie ein Gemischtwarenladen. Man bekommt zu so gut wie jedem Thema ein Sowohl-als-auch. Und das überzeugt weniger denn je.
Kehrt der Protestantismus nicht zu seinen Quellen, also zu Bibel und Bekenntnis zurück, wird er keine Zukunft haben.

Artikel vom 02.05.2005