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Die Forschung in den
Schlagzeilen der Medien

Tagung im Zentrum für interdisziplinäre Forschung

Bielefeld (sas). Zunächst war es das Klon-Schaf Dolly, das zu Berühmtheit gelangte. Im vergangenen Jahr sorgte die Meldung, dass koreanische Wissenschaftler Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen hätten, für Schlagzeilen. Und wann auch immer ein Gen, das für Brustkrebs oder Fettleibigkeit verantwortlich zeichnet, entdeckt wird, findet das in den Medien seinen Niederschlag. Mit der »Forschung in den Schlagzeilen« befasst sich derzeit eine Tagung unter Leitung von Prof. Dr. Peter Weingart.

Der Soziologe erforscht seit Jahren das Verhältnis von Medien und Wissenschaft, zur Tagung (die den Schwerpunkt auf Biomedizin legte) hat er naturgemäß nicht nur Wissenschaftskollegen, sondern auch Medienvertreter ins Zentrum für interdisziplinäre Forschung eingeladen. »Die Akzeptanz von Wissenschaft ist groß, Forschung wird in den Medien durchaus breit dargestellt«, sagt Weingart. Und längst nicht sei der Tenor so negativ, wie von den Wissenschaftlern selbst oft empfunden.
Zwar sei das Ansehen von Biologen, Physikern oder Historikern immer schon hoch gewesen (und liegt nach Umfragen auf einer Stufe mit dem der Verfassungsrichter), »die Stimmung hat sich aber seit Anfang der 90er Jahre generell verbessert.« So sehr zum Beispiel die Genetik - und vor allem die »grüne Genetik« - beobachtet werde, so viele Hoffnungen setzten die Menschen durchaus auch in diese Forschung.
Dabei nimmt Weingart durchaus in Kauf, dass Wissen darüber weitestgehend oberflächlich bleibt. »Es ist eigentlich nicht wichtig, dass jeder die Stammzelenforschung im Detail kennt. Es reicht, wenn man weiß, was sie impliziert, um zu erkennen, wo die Konflikte liegen.«
Für manche seiner Wissenschaftskollegen, weiß der Soziologe, sei es nach wie vor ein Skandalon, wenn Forschung in den Schlagzeilen sei, andere beherrschen die Klaviatur der Medien durchaus. Und das Interesse der Leser und Fernsehzuschauer, die ja schließlich diese Forschung durch ihre Steuern auch mitfinanzieren, ist da, ihr Bestreben, über Themen wie humangenetische Forschung, die letztlich jeden betrifft, informiert zu werden, berechtigt. »Die Entscheidung, ob zum Beispiel embryonale Stammzellen gewonnen werden dürfen, wird mehrheitlich im Parlament entschieden werden. Die mediale Diskussion wird aber mit Sicherheit Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Denn worauf reagiert Politik denn sonst?«
So sehr Weingart zu denen gehört, die für ein tieferes Verständnis zwischen Medien und Wissenschaft und für die jeweiligen Arbeitsbedingungen plädieren, so kritisch sieht er es, wenn Kollegen Aufmerksamkeiten konstruieren. »Wissenschaftliche Befunde sollten erst in der eigenen Comunity diskutiert werden, bevor sie ihren Niederschlag in Massenmedien finden.« Das Spiel »über Bande« zwecks Reputation und Einwerben von Geldern lehnt er ab. »Da muss die Wissenschaft ihre Grenze markieren.« Das geschieht konkret zum Beispiel dadurch, dass einige wissenschaftliche Fachblätter nur noch veröffentlicht, was nicht bereits breit getreten wurde.
Gut verkaufen lässt sich Wissenschaft auch in Film und Literatur - sofern sie mit Abenteuergeschichten oder Katastrophenszenarien verbunden ist. Den Werbeeffekt eines Streifens wie »The Day After Tomorrow«, in dem die Welt einen Klimaschock erleidet, sehen Wissenschaftler durchaus. »Es wird auf ein Thema aufmerksam gemacht. Wenn ein Film aber sehr unglaubwürdig ist, kann das auf das Fach zurückschlagen...« Und nach wie vor lebt Wissenschaft vom Image der Objektivität und der Vorstellung, im Besitze der Wahrheit zu sein. »Um die Institution stabil zu halten, muss man diese Illusion aufrecht erhalten.«

Artikel vom 22.04.2005