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Junges Kamel der Erde übergeben

Schenkung des Künstlers Not Vital

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die Trauergemeinde juxte. Von stillem Gedenken keine Spur. Auch Not Vital befand, dass »Beerdigung« nicht das richtige Wort für das sei, was sich gestern Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein im Skulpturenpark der Kunsthalle zutrug: Die Grablegung eines ausgestopften Babykamels.

Gleichwohl: Der anerkannte Schweizer Bildhauer, dem die Kunsthalle derzeit eine umfassende Werkschau widmet, ist durchaus mit Ernst bei der Sache. Ihm, so betont er, geht es mit der Aktion darum, die Würde des genügsamen Wüstentieres herauszustellen und den Körper der Erde zurückzugeben.
Das tut er in Bielefeld mit Bedacht. Streicht dem Steifftier noch einmal liebevoll übers Fell und steigt auf einer Leiter in die zwei Meter tiefe, mit Kunstrasen ausgeschlagene Gruft, wo er sich das Tier von Kunsthallenleiter Thomas Kellein angeben lässt. Anschließend wird das Grab behutsam von den Umstehenden mit Sand aufgeschüttet.
Die Fläche soll später mit Rasen eingesät werden. Eine Messingtafel mit der Aufschrift: »Junges Kamel, der Erde übergeben« erinnert an die Schenkung des 1948 geborenen Künstlers, in dessen ĂŽuvre das Kamel eine Hauptrolle spielt.
So ließ Not Vital 2001 zur Biennale in Venedig lebensgroße Kamelköpfe aus Aluminium auf Stelen aus der Lagune auftauchen. Für seine derzeit laufende Ausstellung in der Kunsthalle (bis 5. Juni) zerschmetterte er am 3. März diesen Jahres 300 Gipsabgüsse von Kamelköpfen, die als Schädelstätte eine neue skulpturale Form gefunden haben. Das im Park versenkte Tier versteht Not Vital, der sich ausdrücklich nicht als Aktionskünstler verstanden wissen will, als Ergänzung zur laufenden Ausstellung. Das Kamel stand jahrzehntelang als »Grüßonkel« vor seinem Elternhaus.
»Als Kunsthistoriker sind wir es gewohnt, Phänomene zu erklären, auch wenn wir sie selber nicht verstehen«, so Thomas Kellein in seiner »Trauerrede«. Kunsthistorisch spielte zumindest bei Marcel Brothas das Kamel schon einmal eine Rolle, als der Künstler 1971 für eine Ausstellung in Belgien ein Kamel aus dem Brüsseler Zoo auslieh. Bezüge lassen sich auch in Joseph Beuys' Erdklavier und den Negativ-Skulpturen des amerikanischen Landarztes Michael Heizer finden, so Kellein.
Wie auch immer: Bielefeld hat seine erste unsichtbare Skulptur. Und das, ohne einen Cent dazugezahlt zu haben.

Artikel vom 23.04.2005