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Gezieltes Aufkaufen
von CDs kein Einzelfall

Produzenten kennen geheime Media-Control-Liste

Von Dietmar Kemper
Lüneburg (WB). Der Deutsche Rock- und Popmusikerverband in Lüneburg fordert neue Regeln für die Ermittlung von Hitparaden. Vorsitzender Ole Seelenmeyer sagte dieser Zeitung: »Zur Hälfte sollten die Charts von neutralen Fachleuten wie DJs bestimmt werden, und nur 50 Prozent dürfen von Verkaufszahlen abhängen.«
Der NDR hält an Gracia für den Grand Prix fest.

Nur wenn die Hitparaden nicht mehr länger reine »Verkaufsparaden« seien, könne das systematische Aufkaufen von CDs, um Künstler auf Spitzenplätze zu hieven, unterbunden werden. Wie gestern berichtet, steht der Produzent der deutschen Grand-Prix-Teilnehmerin Gracia sowie der Bands Vanilla Ninja und Virus Incorporation, David Brandes, unter dem Verdacht der Chart-Manipulation. Weil »auffällig viele Tonträger« der Musiker über die Ladentische gingen, nahmen der Bundesverband Phono und Media Control am Montag vier Singles und zwei Alben aus der Hitparade. Gestern drohte der Bundesverband Phono Geldstrafen von »mindestens 100 000 Euro« an.
Gracia nannte die Vorwürfe gegen ihren Produzenten eine »Sauerei«. Eigene Platten kaufe »fast jeder in der Branche«. Gracia durfte nur aufgrund ihrer Chart-Platzierung am Vorentscheid für den Eurovision-Song-Contest in Kiew teilnehmen. Am Stichtag 8. Februar musste ihr Lied »Run and Hide« unter den ersten 40 der deutschen Single-Hitparade sein, was mit Platz 20 gelang. Der NDR als Ausrichter der Vorentscheidung sprach sich gestern gegen ein Auftrittsverbot in Kiew am 21. Mai aus. Ole Seelenmeyer vom Rock- und Pop-Musikerverband kennt David Brandes: »Das ist kein unehrlicher Typ. Er hat vermutlich aus Angst CDs aufkaufen lassen, damit Gracia in den Grand Prix kommt.« Um die Verkaufscharts zu ermitteln, werte Media Control die Zahlen in etwa 1000 Musikgeschäften aus. »Die Liste mit den Geschäften ist geheim, aber Insider der Branche kennen sie und schicken Leute zum Abverkauf in die Läden, die für die Statistik wichtig sind«, sagte der Chefredakteur des »Musiker Magazins«. Statt flächendeckend nur zehn CDs am Tag kaufen zu lassen, habe es Brandes offenbar übertrieben und so Argwohn erregt. Als Vertreter eines kleinen Labels (Bros Music) sei Brandes gegenüber großen Konzernen benachteiligt. Seelenmeyer: »Die Verkaufszahlen und damit auch die Hitparaden werden vom Geld der großen Firmen, von ihrem Propagandaetat, gelenkt.« Deshalb spiegele die Hitparade nicht musikalische Qualität, sondern den Einfluss der Branchenriesen wider. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 13.04.2005