30.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Was die Scheichs wohl nach Zürich lockt?« Livia zupfte Duncan am Ärmel.
»Vielleicht visitieren sie auch das Zollager«, antwortete er amüsiert. »Ich nehme an, sie haben ihre Diamantensammlungen hier eingelagert.«
»Ich weiß nicht, Liebling, doch mich verfolgt die Vorstellung, wir könnten hier jeden Moment auf Angelo stoßen.« Dabei sah sich Livia argwöhnisch um.
»Ich glaube nicht an Gespenster. Und dein Mann É«
»É er könnte uns am Bahnhof beobachtet haben und hinter uns eingestiegen oder mit einem Flugzeug nachgeflogen sein«, unterbrach sie ihn.
»An was du alles denkst! Vielleicht wird er gleich die drei Orientalen in Empfang nehmen und ihnen eine Venus für ihr Wüstenzelt verkaufen«, erwiderte Duncan scherzhaft.
»Das kann er wirklich schon getan haben. Ich fürchte immer noch, die Kiste ist leer. Wenn nicht er selbst, dann hat vielleicht irgendeiner von Angelos obskuren Geschäftsfreunden einen Trick gefunden, an das Bild zu kommen.«
»Liebling, das kann nun wirklich nicht sein. Er hätte es dann heimlich aus dem Bunker und durch den Zoll heraustragen müssen. Immerhin eine lebensgroße nackte Frau. Das widerspricht im Übrigen allen Sicherheitsgarantien der Transglobal AG.«
Livia ärgerte sich etwas über die Unbekümmertheit und den ironischen Ton von Duncan. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Es ist schon zwölf Minuten vor zwei. Lass uns ein Taxi nehmen.«
»Taxi? Laut der Beschreibung haben wir nur fünf Minuten zu gehen.«
»Bei der Kälte?«
»Es sind sicher nur wenige Schritte É«
Cappellas Beschreibung folgend mussten sie sich nach dem Hallenausgang nach links wenden, dann am Zollgebäude vorbei und über einen Parkplatz zur Stirnseite eines lang gestreckten Gebäudekomplexes gehen. Nach knapp fünf Minuten, doch zitternd vor Kälte, standen sie endlich vor dem Bau. Man kam sich an diesem Ort vor wie am Ende der Welt. Sie mussten sich zwischen mehreren eng an die Frontseite geparkten, eisverkrusteten Lastwagen hindurchquetschen, um die Aufschriften über den Türen der vielen kleinen Büros in Augenschein zu nehmen. Und mitten in der langen Kette von Speditionsbüros entdeckten sie schließlich das Schild der Firma Transglobal AG.
Sie betraten das Gebäude. Wohltuende Wärme umfing sie. Mit dem ersten Blick erfasste Livia einen engen, wahrscheinlich nur auf die Zwecke der Warenregistratur und Transportabfertigung zugeschnittenen Raum mit einer soliden Abfertigungstheke als Barriere in der Mitte. Dahinter schloss sich hinter einer milchigen Glasschwingtür das Büro der Firma an. Nichts ließ sich hier als unseriös deuten. Im Gegenteil, diese Atmosphäre von äußerster Nüchternheit beruhigte Livia.
Zwei Männer im Blaumann drängten hinter ihnen herein und schüttelten sich den Frost aus den Ärmeln. Als Livia sie nach Herrn Capella fragte, deuteten die Männer auf eine massive Sicherheitstür.
Dahinter lag eine Art Empfangsbüro. Eine etwa vierzigjährige Frau saß an einer Schreibmaschine und unterbrach ihre Arbeit, als sie eintraten. Sie schenkte ihnen ihr schönstes Lächeln, wobei sie Duncan mit ihren blauen Puppenaugen anstrahlte.
»Grüezi! Hier sind sie bei der Firma Transglobal. Mein Name ist Martha Rössli. Was darf ich für Sie tun?«
Livia stellte sich und Duncan vor und fragte nach ihrem Gesprächspartner am Telefon.
»Herr Cappella erwartet Sie. Er ist auf dem Areal unterwegs und wird in Kürze zurückkommen«, sagte die Dame freundlich in makellosem Italienisch. »Wir können inzwischen die Formalitäten erledigen, so dass wir keine Zeit verlieren.«
Livia überreichte der liebenswürdigen Empfangsdame ihre Visitenkarte zusammen mit dem Lagerschein. Danach entnahm sie aus einer Mappe die vom Anwalt beglaubigte Abschrift der Übereignungsurkunde und fügte noch ihren Pass hinzu. Am Ende zückte sie noch das vorbereitete Kuvert mit dem Geld für die noch unbezahlten Aufbewahrungsgebühren.
Am liebsten hätte Livia ihr Gegenüber jetzt schon mit den Fragen überschüttet, die ihr auf der Seele brannten. Die allerdringendste war jene, ob sich das Bild auch jetzt noch in der Kiste befände. Doch sie konnte sich gerade noch beherrschen. Wohl oder übel musste sie erst auf Cappellas Erscheinen warten.
Die Dame nahm alle Schriftstücke bis auf das Geldkuvert entgegen und trug dazu Notizen in ein Tagesjournal ein.
»So, das wäre erledigt«, sagte sie beiläufig und legte die Papiere beiseite, um aus einer roten Mappe einen Vordruck hervorzuholen. »Da sich Ihr Besitz auf zollfreiem Gelände befindet, sind wir verpflichtet, alles zu registrieren, was damit geschieht.« Daraufhin legte sie Livia ein Formular mit einem eleganten Briefkopf vor und zeigte mit ihrem Finger auf die unterste linke Spalte. »Bitte unterschreiben Sie mit Ihrem Namen!«, sagte sie bestimmt und legte das Formular beiden zur Unterschrift vor.
»Wollen Sie sich jetzt das Objekt ansehen?«, fragte sie Livia, die mit einem Nicken antwortete. Daraufhin bekam sie gleich zwei neue Formulare vorgelegt. Livia konnte nicht verhindern, dass ihre Hand etwas zitterte, als sie ihre weiteren Unterschriften auf die Papiere setzte. Es kam ihr vor, als würde sie ihr Testament machen.
In diesem Augenblick sprang die Tür hinter ihnen auf, und ein mittelgroßer, schlanker, austrainiert wirkender Mann in einem dunkelblauen Anzug trat ein.
»Herzlich willkommen in Zürich!«, vernahmen sie eine befehlsgewohnte Stimme. Der Mann streckte Livia seine Hand entgegen: »Cappella, Eddie Cappella. Ich bin der Geschäftsführer der Transglobal hier in Zürich«, stellte er sich knapp vor.
Livia war überrascht, wie jung er war. Gesicht und Miene wirkten im Ruhezustand hart, aber die einschmeichelnden Augen und das charmante Lächeln des Mundes machten ihn auf Anhieb sympathisch. Ein smarter Mann von der Sorte, der man nicht tagtäglich begegnete, dachte sich Livia und gab ihm ihre Hand.
»Sie müssen Signora Romano sein.«
»Ja, sehr erfreut, Herr Cappella. Ich möchte Sie mit Mr. Duncan Munro bekannt machen. Er ist mein Berater.«
»Sehr erfreut!«, erwiderte Cappella, während Livia beobachtete, wie sich die beiden Männer gegenseitig zwar unauffällig, doch aufmerksam musterten. Cappella wies auf eine Tür im Hintergrund. »Ich habe Sie schon erwartet. Bitte kommen Sie in mein Büro.«
Während sie die angewiesenen Plätze vor einem eleganten Mahagoni-Schreibtisch einnahmen, übergab die Dame mit den Puppenaugen die Unterlagen an Cappella. Er vertiefte sich sofort in die Papiere und sichtete sie aufmerksam. Nach einer Weile entnahm er aus einer Schublade mehrere Schriftstücke und verglich sie mit den vor ihm liegenden.
Livia beobachtete ihn. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 30.04.2005