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Leitartikel


Peking, Schröder und Chirac

Taiwan, ach, wie schön und fern!


Von Rolf Dressler
Ein zunehmend mulmiges Gefühl beschleicht die leider viel zu wenigen Kundigen oder wenigstens Interessierten: Bis wohin eigentlich wollen, allen voran, Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder und sein Freund im Geiste, Frankreichs Präsident Jacques Chirac, ihre Gernegroß-Phantasien auf der Weltbühne noch treiben?
Schon jetzt proben die beiden im Europa-Alleingang einen gefährlichen Tanz auf der Rasierklinge ausgerechnet mit dem putzmunteren Riesen China. Weg mit dem Waffenembargo gegen Peking aus dem Jahre 1989! Mächtig dröhnt der Schlachtruf aus Berlin und Paris um den Erdball. Doch anscheinend ganz locker steckt Schröder die erbosten Proteste des grünen Koalitionspartners weg, er veranstalte in Sachen China geradezu einen »Amoklauf«.
Ein derart starker Tobak müsste normalerweise die sofortige Aufkündigung des Regierungsbündnisses seitens der Grünen nach sich ziehen - wenn die Fischer, Künast, Trittin & Co. ihre hehren Grundsätze nicht an der Garderobe abgegeben hätten. Der sprichwörtliche Spiegel, in den man auch am nächsten Morgen gern noch schauen können möchte, lässt sich bei Bedarf ja leicht mit einem Tuch verhüllen.
Seltsame, fast skurrile Widersprüche tun sich auf. Jedwede militärische Unterstützung der alliierten Streitkräfte im Irak lehnen Schröder und Chirac kategorisch ab - von der EU aber verlangen sie, den Waffenboykott gegen China lieber heute als morgen zu kippen. Dabei haben sich die Rüstungslieferungen an das Reich der Mitte trotz des Embargos schon fast verachtfacht - ganz diskret, heimlich, still und leise.
In diesem Geschäft mischen die Europäische Union und Putins Russland ganz besonders einträglich mit. Und als Dritter im Bunde, sehr zum Unwillen der US-Amerikaner, Israel. Jeder indes könnte wissen, wie zielbestimmt die Mächtigen in Peking diese freundlich-naive (?) Unterstützung dafür nutzen, ihre Militärmaschinerie auszubauen. Kürzlich nun hat sich Chinas gleichgeschalteter »Volkskongress« per Extra-Gesetz sogar eine Generalvollmacht zum Krieg gegen das aus Pekinger Sicht abtrünnige Taiwan, das frühere Formosa, ausgefertigt.
Wie aber wohl würden die Europäer im Ernstfall reagieren, wollte China Taiwan am Tage X tatsächlich gewaltsam zurückerobern? Würden dann gerade auch die Friedens- und Menschenrechtsverfechter Gerhard Schröder und Jacques Chirac zu Opportunisten mutieren und eine ganz eigene Wendehals-Parole ausgeben?
Etwa in dieser Art: Liebe Taiwanesen, bitte, seid so nett und ar- rangiert euch doch mit dem großen Bruder auf dem Festland - zum Nutzen des Ganzen und des Weltfriedens und überhaupt. Die Menschheit wird es euch auf ewig danken. Schließlich sollte die Demokratie, die ihr euch in fünfzig Jahren auf eurer schönen Insel aufgebaut habt, ja nicht nur egoistisch nationaler Selbstzweck sein ...!
Könnte es so kommen? Oder träumen wir nur schlecht?

Artikel vom 06.04.2005