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Neue Rechtschreibung:
ein Vorschlag zur Güte

Hartmut von Hentig sucht nach einem Kompromiss

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Seit die Debatte über die Rechtschreibreform begann, wurden die Vorschläge immer unübersichtlicher. Das gilt auch für das beteiligte Personal (siehe Kasten). Verzweifelt versucht jetzt Hartmut von Hentig einen Vorschlag zur Güte zu machen.

Stimmig soll die Rechtschreibung sein, aber eben über dieses Kriterium streiten sich die Gelehrten ja seit Jahren. Auch von Hentig geht auf Achterbahnfahrt durch die Plausibilität.
Der Pädagoge ist dafür, zahlreiche Kommaregeln beizubehalten, weil dies dem Lesefluss diene. Er spricht sich gegen die Verdreifachung von Konsonanten aus (»Schnelllauf«) und plädiert für die alten Bestimmungen zur Worttrennung. Die Getrenntschreibung (»Not leidend«) lehnt er ab, weil sie die natürliche Sprachentwicklung (Zusammenschreibung) rückgängig macht.
Die neue Schreibung fremdsprachlicher Wörter (»Tunfisch«, »Quäntchen«) nimmt von Hentig hin, weil Griechisch- und Lateinkenntnisse im Schwinden begriffen seien. Stichwort Weltoffenheit: Aus der »Chose« dürfe die »Schose« werden, niemals jedoch aus der »Chance« die »Schangse«. Begründung? Fehlanzeige.
Eine Reform lediglich aus Gründen der Vereinfachung von Sprache lehnt von Hentig ab - aus Achtung vor der Funktion, den Gesetzen und traditionellen Eigenarten des Deutschen. »Idiotensichere« Regeln mag er nicht tolerieren, weil Sprache auch vom spielerischen Umgang mit ihr lebe.
Weil die Vermittlung deutscher Rechtschreibung von jeher mit Schwierigkeiten kämpft, wünscht sich von Hentig, dass »leichte« Regeln und »leichte« Wörter früh im Unterricht behandelt würden, »schwierige« Phänomene dagegen erst in höheren Klassen. Überhaupt billigt von Hentig den Schülern ein Mitspracherecht an der Entwicklung neuer Regeln zu. Vergleiche zwischen alter und neuer Rechtschreibung belebten den Unterricht und führten zu tieferem Sprachverständnis. In diesem Sinne hält der pensionierte Pädagoge jede Reform für niemals abgeschlossen - Rechtschreibung solle sich im Dialog mit Schülern ständig erneuern.
Schätzungsweise 95 Prozent der Reformregeln seien sinnvoll oder wenigstens hinnehmbar, den Rest müsse man verhandeln. Von Hentig ruft die Politik auf, in Analogie zum Ethikrat einen Rechtschreibrat zu etablieren. Prozedere: Der Bundespräsident ernennt einen Verantwortlichen, der wiederum die Ratsmitglieder beruft - und zwar gemäß den Ergebnissen einer öffentlichen Diskussion. Wie dieses Verfahren in praxi funktionieren soll, teilt von Hentig nicht mit.
Der 79-Jährige versteht seine »Parva Charta« (Untertitel) als Plädoyer für ein Regelwerk, das alle diejenigen dringend benötigten, die korrekt schreiben müssen. Bei allen anderen Schreibern empfiehlt er Toleranz - die Forderung nach regelkonformer Rechtschreibung dürfe nicht mehr den Zugang zum Berufsleben beeinflussen. Im Klartext: Fehler in Diktat oder Aufsatz anzustreichen, sei antiquiert. Die Orthographie solle man lieber den vielschreibenden Praktikern und Philosophen als Untersuchungsobjekt überlassen.
Hartmut von Hentig: 14 Punkte zur Beendigung des Rechtschreib-Kriegs. Parva Charta für den bleibenden Regelungsauftrag; Wallstein-Verlag Göttingen 2005; 48 Seiten, zwölf Euro.

Artikel vom 05.04.2005