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Wer zieht die Fäden für den kranken Papst?

Optimismus beruhigt nicht - bald erneut in Klinik

Von Peer Meinert
Rom (dpa). Der Schock sitzt tief, die in alle Welt übertragenen Bilder des leidenden Papstes haben viele Gläubige verstört. Sogar im glaubensstarken Polen, der Heimat Johannes Paul II., werden jetzt erste kritische Stimmen laut: »Die sonntägliche »Reality Show« an den Bildschirmen war makaber«, kommentierte die liberale Zeitung »Gazeta Wyborcrza« gestern.

Das sind ganz neue Töne. Auch im Vatikan kommen Zweifel auf, ob die bisherige Regie, den Papst in seinem derzeitigen Zustand im Fernsehen zu zeigen, richtig ist. »Will die Öffentlichkeit den Papst wirklich unter allen Umständen leiden sehen?« So zitieren römische Kommentaroren den Vatikan. Sinneswandel unter den päpstlichen Medien-Strategen?
Seit einiger Zeit spielt die PR-Taktik des Vatikans ein seltsames Spiel: Der chronische Optimismus angesichts der sichtbaren gesundheitlichen Verschlechterung des 84 Jahre alten Kirchenführers stößt eher auf Unverständnis, als dass er die Menschen beruhigt.
Die TV-Bilder in der Karfreitagnacht, als Radio Vatikan lediglich den Rücken des alten Mannes zeigte, wurden teilweise als bizarr empfunden. Und dann der Auftritt am Sonntag, als der Papst verzweifelt um seine Stimme rang und mit verzerrtem Gesicht doch nur ein Röcheln hervorbrachte: »Ich frage mich, muss man das wirklich zeigen?« meinte eine junge deutsche Katholikin in Rom.
»Seinen ganz persönlichen Kreuzweg« nennen rührige Kardinäle die TV-Auftritte, ein Kontrastprogramm zum Jugend- und Gesundheitswahn unserer Gesellschaft sei das. Aber auch im Vatikan gibt es jetzt erste Stimmen, die fragen, ob es nicht besser wäre, allzu schockierende Bilder zu vermeiden, einen Papstauftritt auch einmal zu verschieben, verlautete gestern.
»Soll man der Welt eine so schreckliche Ohnmacht zeigen? Leidet darunter nicht die Autorität der Kirche, des Christentums?«, fragte etwa die polnische »Gazeta Wyborcza«.
Es stellt sich die Frage, wer in der PR-Politik des Vatikans die Fäden zieht: Sind es Kurienkardinäle wie der ruhige und besonnene Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano oder der eher medienkritische deutsche Glaubenshüter Kardinal Joseph Ratzinger? Oder ist es der agile Opus-Dei-Mann und Vatikan-Sprecher Joaquín Navarro-Valls, der auch in kritischsten Augenblicken stets Gutes zu verbreiten sucht - oder gar der äußerlich unscheinbare päpstliche Privatsekretär Stanislaw Dziwisz, dessen zunehmender Einfluss und dessen wachsende Macht nicht wenigen in Rom allmählich unheimlich werden?
Mit Sorge und Argwohn wird der unaufhaltsame Aufstieg des »treuen Dieners« Dziwisz beobachtet, der als einziger im Vatikan jederzeit uneingeschränkt Zugang habe zum greisen Pontifex und 24 Stunden am Tag nicht von seiner Seite weiche. Seit 40 Jahren, seit den Krakauer Kardinalstagen des Karol Wojtyla, dient Dziwisz seinem Herrn, der ihn zum Dank zum Bischof gemacht hat.
Der schwer parkinsonkranke Papst kann nicht mehr sprechen, nicht mehr als ein paar Zeilen schreiben, kaum noch lesen, und Diskussionen führen kann er auch nicht mehr. Der Einfluss und die Macht seiner Helfer wächst mit jedem Krankheitstag, heißt es dazu in Rom - und dabei geht es längst nicht nur um PR-Strategie.
Offiziell ist der Papst absoluter Monarch, auch auf dem Krankenbett. Doch tatsächlich, darin sind sich Experten einig, ist das Machtgefüge im Kirchenstaat in Bewegung geraten - »Endzeit eines Pontifikats« nennen das Theologen schon seit Generationen.
Wie gestern verlautete, muss der Papst bald wieder ins Krankenhaus. Die Ärzte wollten die Kanüle kontrollieren, der er seit einem Luftröhrenschnitt vor einem Monat im Hals trägt.

Artikel vom 30.03.2005