05.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ein behäbiges Treppenhaus nimmt uns anschließend auf. Mein Eindruck von Gebäude und Personal ist der einer heruntergekommenen einstigen Wohlhabenheit.
Nach der vorausgesandten Dienerin begrüßt uns im Obergeschoss eine korpulente ältere Dame in feierlichem Schwarz und mit mächtigem Witwenschleier. Kurz darauf stellt sie mir meinen Begleiter mit Pathos in der Stimme vor: »Signore Olivetti ist unser Bibliothekar. Er ist ein belesener und gebildeter Geist und ein Mann unseres Vertrauens. Er besitzt genaue Kenntnisse über jedes der Malereiwerke und versteht die astronomischen Geräte nicht minder zu erklären. Lassen Sie sich von ihm herumführen, und kehren Sie dann wieder zu mir zurück. Ich erwarte Sie später im Musikzimmer.«
Wir durchschreiten die übliche Abfolge von Haupt- und Nebensälen, in denen mein Auge nur verschossene Vorhänge und Teppiche, dunkle Wappenschilde und an den Wänden befestigte alte Waffen registriert, aber nichts von auffallender Schönheit entdecken kann. In den Gängen sind dunkle Ahnenbilder dicht aneinander gerückt, die Leinwände verwölbt und von Kratzern und Absplitterungen verunziert. Eine ganze Reihe von Porträts der Familie Medici ergänzt das Bildnisprogramm, das Signor Olivetti mir ehrfurchtsvoll erläutert. Seine Stimme überschlägt sich fast, als er mir drei der besonders ausdruckslos starrenden Damengesichter von dem hierzulande so besonders geschätzten Sustermans aus Flandern, Hofmaler der Medici, nahe bringen möchte. Dabei fällt mir ein, dass dieser wohl gerade in Mailand dabei ist, unsere künftige Königin zu porträtieren!
Wir laufen durch die mit Heiligendarstellungen gepflasterten Privaträume der Dame des Hauses. Die Namen schwirren nur so: Der heilige Thomas, Franziskus empfängt die Wundmale, die reuige Magdalena und viele, viele Madonnenbilder flankieren unseren Weg. Alles wertlos für meinen König. Was habe ich mir mit meiner Mission nur an Zumutungen, Ärger, Demütigungen und Frechheiten aufgehalst? Am liebsten würde ich flüchten, da es in allen Ecken unangenehm feucht und faulig riecht.
»Wie groß ist die Sammlung insgesamt?«, frage ich mit unterdrücktem Groll.
»Mit allen Räumen ungefähr dreihundert Gemälde, dazu Uhren und Silberschmiedearbeiten, die der letzte Conde É«
»Verzeihen Sie, Signor Olivetti, aber ich will Ihre kostbare Zeit nicht länger beanspruchen. Ich habe bereits genügend gesehen, um zu wissen, dass ich hier nichts für die Ansprüche meiner Auftraggeber finden kann. Wir sollten É«
»Habt Geduld. Das Eigentliche kommt erst. Bitte sehen Sie sich unbedingt die Gemächer des verstorbenen Hausherrn an«, sagt er plötzlich in flehendem Ton und eilt mir durch einen seitlichen Gang voraus.
»Kommen Sie«, fordert er mich auf, bleibt im nächsten Türrahmen stehen und hält mir die Tür auf. »Dies ist das Gemach des seligen Herrn. Die kostbaren Schränke enthalten viele wertvolle Bücher mit wunderbaren Kupferstichen. Von den berühmtesten Druckern.«
»Machen Sie sich keine Mühe, es interessiert mich nicht!«, sage ich schroff, als er entschlossen zur seitlichen Wand eilt.
Er geht aber nicht zu den Schränken, sondern zieht mit Schwung einen Vorhang zur Seite. Zwei übereinander hängende rechteckige Aktbilder erfreuen mein Auge. Hektisch springt Olivetti zur Seite, um den Blick nicht zu verstellen.
»Qué maravilla!«, entfährt es mir unwillkürlich. Zwei nackte lebensgroße Damen. Von vorn und von hinten. Das hätte ich nicht gedacht. Das ist selten. Und so hell und frisch in der Farbe! Herrlich das untere, wo eine langbeinige, weich gerundete Mädchenschönheit so auf dem Bauch liegt wie die Figur des Hermaphroditen des Kardinals Borghese, die ich für den König abgießen lassen werde. Genau dieselbe Haltung, in Vorderansicht, zeigt die Holde darüber. Einfach wonnig! Ich muss meine Überraschung unterdrücken, da ich gelernt habe, dass Offenherzigkeit nur die Preise in die Höhe treibt.
»Der verstorbene Herr des Hauses war stolz darauf, dass er diese zwei Meisterwerke dem Kardinal Leopoldo weggeschnappt hat«, plaudert der Bücherwurm.
Ich sehe, dass es sich um vorzügliche Arbeiten aus der Nachfolge Tizians handelt. Tizian malt zwar noch leuchtender, aber dieses Gespann ist genau das, was das Herz des jungen Haro begehrt. Er hatte ja ausdrücklich so ein Paar gefordert! Etwas gelangweilt frage ich: »Sind diese beiden Damen erwerbbar? Wenn ja, was sollen sie kosten?«
»Sechstausend Florentiner Gulden jede. Die Entscheidung trifft allerdings die Contessa«, kommt es wie aus einem Pistol.
»Gut. Ich habe genug gesehen. Gehen wir«, sage ich mit fester Stimme.
Dennoch ärgert mich die gewaltige Summe. Was bilden sich diese Menschen eigentlich ein? Olivetti geleitet mich höflich zurück.
»Das ging aber schnell! Ich hoffe, Ihr seid zufrieden, Signore Velasco?«, zeigt sich die Hausherrin verwundert und bietet mir eine Sitzgelegenheit an.
»Es ist viel im Hause, doch Weniges, was meines Königs Herz erfreuen kann.«
»Oh, dann nennt mir das Wenige«, erwidert sie prompt
»Nicht der Rede wert. Ich habe Verständnis dafür, dass es sich um Familienstücke handelt, die für Euch gewiss einen hohen Wert besitzen. Es dürfte Euch ohnehin schwer fallen, sich davon zu trennen. Daher darf ich mich für den Empfang in Ihrem Hause sehr herzlich bedanken.«
»Da bin ich nicht ganz sicher, ob es mir schwer fallen wird. Bitte sagt mir offen: Was hat Euer Interesse gefunden?«
»Signore Velázquez interessiert sich für die beiden Gemälde im Gemach des seligen É«, bemerkt Signor Olivetti, was mir den Zorn in das Gesicht treibt. Was fällt ihm ein, meine Verhandlungsführung zu stören?
»Signora, ich hätte gerne ohne Euren Bibliothekar verhandelt!«, sage ich, ohne zu zögern.
Olivetti blickt zu seiner Herrin, die ihm ein Zeichen gibt, den Raum zu verlassen.
Als wir allein sind, fahre ich im versöhnlichen Ton fort: »Ihr Bücherwurm hat übertrieben. Interesse wäre zu viel. Doch vielleicht stimmt der Preis für die beiden Stücke.«
»Es sind vorzügliche Stücke, eine Pracht, an der ich mich sogar selbst erfreue«, lügt sie frech. Ich bin mir sicher, ihr eigener Mann wollte sie nur für sich, genau dort, wo sie hängen, damit er sie jederzeit ungestört zu seinem Genuss betrachten konnte. Und gleich zwei davon! Für mein Gegenüber sind dagegen eher anmutige Marienbilder ausreichend.
»Ich kenne inzwischen viele solche Darstellungen. Sie sind häufiger anzutreffen, als man glaubt«, erwidere ich, um das Ganze ein wenig abzuwerten. »Außerdem wisst Ihr ja um die strenge Zensur in Spanien. Sie prüft jede Handelsware an den Grenzen, ob nichts dabei ist, was die Seele verderben könnte. Mein Auftrag kommt zwar von hoher Stelle, doch bin auch ich nicht ganz davon ausgenommen.«
»Ich bin mir sicher, Signore Velasco, jeder König besitzt herrliche Aktgemälde oder sucht nach ihnen, damit sie zur Ergötzung in seinen privaten Gemächern hängen - manchmal vielleicht verhängt, damit die Etikette gewahrt bleibt.«
»So wie bei Euch, Signora?«, versetze ich.
»In meinen Kreisen gibt es nicht wenige, die es angemessen finden, im Schlafgemach Mars und Venus oder einen Nymphe mit einem Satyr aufzuhängen. Jedenfalls ist genügend Nachfrage vorhanden«, lacht sie abgeklärt.
Die Dame ist zäher, als ich gedacht habe. Die Jagd nach Venusbildern hat sich tatsächlich vehement gesteigert. Selbst mein eigener Schwiegervater, Inquisitionsbeauftragter in Sevilla und von höchsten kirchlichen Würdenträgen umgeben, musste, als er starb, sein großes Venusbild seinem Freund, dem Inquisitor Francisco de Rioja, vermachen.
»Vielleicht bewirkt ja der Anblick schöner Venusfiguren die Empfängnis schöner Kinder?«, werfe ich ein.
»Das könnte mein einfältiger Bibliothekar gesagt haben«, sagt sie schmunzelnd. Doch urplötzlich wird sie ernst: »Zum Geschäft, Signore Velasco. Wollen Sie sie kaufen?«
»Nennt mir die Summe.«
»Fünftausend. Pro Stück.«
Ich antworte mit meinem eingeübten, langen, doch nichtssagenden Lächeln und bleibe stumm. Natürlich weiß ich, dass ich die beiden Bilder um die Hälfte bekommen kann, wenn ich nur meine eigene prekäre Situation zu überspielen weiß.
»Ihr sagt nichts?«, fragt sie nach einer Weile unsicher nach.
»Verehrte Contessa. Euer Name wird auf dem königlich spanischen Vertrag stehen. Allein das ist schon eine hohe Ehre, die Ihr gewiss zu schätzen wisst. Fünftausend ist eine Summe, welche die Krone Spaniens im äußersten Falle zu zahlen bereit wäre. Insgesamt.«
»Ihr meint, für beide Bilder?«, sagt die Contessa enttäuscht.
»Für das Paar als Ganzes!«
»Ich habe aber ein Angebot des Kardinals É«
»Dann macht bitte mit ihm das Geschäft, verehrte Contessa«, sage ich höflich aber bestimmt und erhebe mich.
»Verehrter Signore Velasco! Lasst mir ein paar Tage Zeit.«
»Verehrte Signora, ich habe leider keinen einzigen Tag mehr hier zu versäumen. Rom erwartet mich.«
»Ja, dann É«, sagt sie nach einer Weile zögerlich. Doch dann schlägt sie entschlossen mit der Faust auf den Tisch und ruft zur Tür: »Olivetti!«
Die Tür springt auf. Ich bin mir sicher, der Mann hat alles mitgehört. »Holt Pergament und Tinte. Beeilt Euch.«
»Für Florenz und Madrid! Der König sagt Dank!«, schmeichle ich ihr und unterschreibe den Kontrakt. »Mein Bote wird das Geld überbringen und die beiden Gemälde noch heute abholen kommen«, versichere ich und erhebe mich.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 05.04.2005