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Leitartikel
Stabilitätspakt

Schleusen
für alle
geöffnet


Von Dirk Schröder
»Die jeweils herrschenden Regierungen versuchen immer wieder, sich zu verschulden, damit die Bürger im Moment glücklich sind. Aber das ist doch eine Politik, die zu nichts führt.«
Hans-Werner Sinn, Ifo-Institut

So hat man den seinerzeit als Sparminister angetretenen, in letzter Zeit aber arg gebeutelten Hans Eichel schon lange nicht mehr erlebt - gestern konnte man einen ausgesprochen zufriedenen Finanzminister bestaunen. Der Grund: Er hat es geschafft, seine Kollegen aus den anderen Euro-Ländern »weichzukochen«, damit sie einer Lockerung des Stabilitätspaktes zustimmen.
So ändern sich die Zeiten. Der Sparminister frohlockt, weil er mehr Schulden machen darf.
In Wirklichkeit war der gestrige Montag ein schlimmer Tag für Europa. Wieder ist ein Stück Vertrauen in die Politik verloren gegangen, und die Glaubwürdigkeit der Deutschen hat bei den meisten Partnern in Europa einen tiefen Kratzer bekommen. Echte Rückendeckung erhält die Bundesregierung nur aus Frankreich.
Es muss schon ein starker Druck von diesen Beiden gewesen sein, der die anderen Länder dem Kompromiss hat zustimmen lassen. Doch der Bundeskanzler mag Kritik noch so oft mit dem Hinweis wegwischen, sie beruhe auf Kenntnislosigkeit der ökonomischen Zusamenhänge. Gestern ist der Anfang vom Ende dieses Paktes eingeläutet worden. Er hat neuen Schulden Tür und Tor geöffnet, auch wenn versichert wird, die Grundprinzipien des Paktes würden nicht angetastet. Das ist doch nicht mehr als Beschwichtigung. Die Zeche werden die kommenden Generationen zahlen müssen.
Die Deutschen wollen gern die Kosten der Wiedervereinigung aufgerechnet wissen, Frankreich wil die Rüstungsausgaben mit seinem Defizit verrechnen. Und den anderen Ländern wird sicherlich auch noch etwas einfallen. Gestern hat Deutschland die Schleusen für alle geöffnet, und schon heute muss man mit Sorge auf die Auswirkungen in den nächsten Jahren schauen.
Die Finanzmärkte unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Schulden. An Devisen- und Anbietermärkten war schon gestern abzulesen, wohin die Reise geht: Der Eurokurs sank, die Zinsen werden steigen. Hier tut sich ein Fass ohne Boden auf. Dabei erlaubt die Drei-Prozent-Marke Deutschland Schulden von 64 Milliarden Euro, ohne dass die Maastricht-Kriterien greifen.
Wen wundert es, dass sich die Freude auch bei Konjunkturexperten in Grenzen hält. Diese Herumtrickserei hilft herzlich wenig, den Wachstumsmotor zum Laufen zu bringen und neue Jobs zu schaffen. Der Stabilitätspakt als Eckpfeiler für eine harte Währung - das kann man getrost vergessen.
Doch ein »Gutes« hat es denn doch: Der Bundeskanzler wird sich aus Brüssel nicht mehr als Schuldenmacher schelten lassen müssen - 2006 sind ja wieder Bundestagswahlen.

Artikel vom 22.03.2005